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Der wunderbare Massenselbstmord

Titel: Der wunderbare Massenselbstmord
Autoren: Arto Paasilinna
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Rellonen holte Holz aus dem Schuppen.
    Gegen Mittag war die Sauna bereit. Die Männer saßen auf der Schwitzbank und peitschten sich eifrig, es schien ihnen, als gäbe es dafür einen besonderen, mit Worten nicht zu erklärenden Grund. Sie mussten sich ihr früheres Leben vom Buckel wedeln. Der Körper wurde gereinigt, aber wie stand es mit der Seele?
    »Ich bin noch nie im Leben in einer so ausgezeichne­ ten Sauna gewesen«, lobte der Oberst.
    Auf der Terrasse setzten sie das Gespräch über das Thema des Tages fort. Sie schlossen Brüderschaft. Es kamen Dinge zur Sprache, die keiner von beiden je einem anderen Sterblichen erzählt hatte. Ein Selbst­ mordversuch bringt die Menschenkinder einander nä­ her, das stellten die Männer einhellig fest. Sie entdeck­ ten jeder am anderen viele ausgezeichnete Charakterzü­ ge, solche, die derjenige gar nicht bei sich vermutet hatte. Es schien ihnen, als wären sie seit ewigen Zeiten gute Freunde. Zwischendurch gingen sie baden. Das erfrischte, es schien ihnen wunderbar, am Leben zu sein.
    Aus dieser Situation betrachtet, beim gemeinsamen Bad mit einem Schicksalsgefährten, im flimmernden Sonnenschein des Johannistages, war die Welt eigent­ lich ein ganz guter Ort. Musste man sie denn wirklich so eilig verlassen?
    Abends am Kamin genehmigten sie sich einen Ko­ gnak. Der Oberst hatte die Flasche in seinem Auto gehabt, das er hinter dem Feld abgestellt hatte. Das Auto war angesprungen, als wäre sein Besitzer nie fort­ gegangen, um zu sterben.
    Der Oberst hob sein Glas und meinte: »Letzten Endes war es doch gut, Onni, dass du dich
    zufällig in die Scheune verirrt hast, so plötz… mitten­ drin.«
    »Ja… wir sind am Leben. Wenn ich mich aber verspä­ tet hätte oder in eine andere Scheune gegangen wäre, dann wären wir jetzt beide tot. Du würdest am Balken hängen, und mein Schädel wäre zerschmettert.«
    Der Oberst betrachtete Rellonens Kopf. »Du wärest eine hässliche Leiche geworden«, sagte er
    nachdenklich.
    Rellonen fand, dass auch ein ausgewachsener Oberst, der am Balken hing, kein erfreulicher Anblick gewesen wäre. Der Oberst hielt das Geschehene für einen großar­ tigen Zufall, mathematisch gesehen traf so etwas genau­ so selten ein wie ein Lottogewinn. Er fand die Frage interessant, wie es überhaupt möglich war, dass sich zwei Männer in derselben Scheune das Leben nehmen wollten und genau zum selben Zeitpunkt dort auftauch­ ten. Wenn sie mit ihren Selbstmordabsichten in Öster­ botten unterwegs gewesen wären, hätte es vermutlich keine Rettung für sie gegeben. In Österbotten gab es endlose Felder, auf denen Scheunen zu Hunderten, ja Tausenden standen, genug, dass sich hundert Männer aufhängen oder erschießen konnten, ohne dass einer den anderen störte.
    Zu ergründen war auch, warum der Mensch in der Stunde seines Freitodes das eigene Heim verließ. Und warum er sich dann trotzdem einen geschützten Ort suchte, wie eben jene alte Scheune. Wollte er unbewusst vermeiden, dass in der eigenen Wohnung Unordnung entstand? Der Tod war ja selten ein besonders schönes oder sauberes Ereignis. Der Mensch suchte sich eine geschützte Stelle, damit die Leiche, auch die hässliche, nicht unter freiem Himmel lag und vom Regen durch­ nässt oder von den Vögeln voll geschissen wurde.
    Der Oberst rieb sich in Gedanken die Schläfe. Er sah seinem Gefährten offen in die Augen und
    sagte, dass er seinen eigenen Selbstmord mindestens bis zum nächsten Tag hinausschieben wolle. Vielleicht werde er seine Tage auch erst in der kommenden Woche oder im besten Falle erst im Herbst beenden. Wie dachte Onni darüber, war es ihm immer noch ebenso Ernst mit der Sache wie am Morgen?
    Rellonen war zu ähnlichem Ergebnis gelangt. Da das Vorhaben durch eine Laune des Zufalls aufgeschoben worden war, konnten sie es getrost aus eigenem Ent­ schluss noch weiter aufschieben. Die schlimmste De­ pression war überwunden, man konnte sich die Sache ja noch eine Weile überlegen.
    »Mir ist im Laufe des Tages der Gedanke gekommen, dass wir, du und ich, irgendwas zusammen unterneh­ men könnten«, schlug Onni Rellonen vorsichtig vor.
    Oberst Kemppainen gestand gerührt, dass er erstmals einen guten Freund habe, einen echten Vertrauten. Er sei nicht mehr in dem Sinne allein wie noch gestern.
    »Ich will nicht behaupten, dass es mir neuen Lebens­ mut gibt… das wohl nicht. Aber irgendwas könnten wir uns tatsächlich ausdenken. Wir sind immerhin am Leben.«
    Onni Rellonen
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