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Der wunderbare Massenselbstmord

Titel: Der wunderbare Massenselbstmord
Autoren: Arto Paasilinna
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freute sich, wurde eifrig. Er sprach schnell, manisch, und schlug vor, dass sie gleichsam ein neues Leben beginnen, alles Bisherige hinter sich lassen und irgendetwas anfangen sollten, was das Leben le­ benswert machte.
    Der Oberst fand, dass es lohnte, darüber nachzuden­ ken. Ihr weiteres Leben hatten sie gewissermaßen ge­ schenkt bekommen, hatten es umsonst, zusätzlich. Sie konnten es nutzen, wie es ihnen gefiel. Keine schlechte Idee.
    Die beiden philosophierten, dass die Menschen faktisch immer den ersten Tag vom Rest ihres Lebens lebten, allerdings bedachten sie das in all ihrer Hektik nicht. Nur wer an der Schwelle des Todes gestanden hatte, begriff, was der Beginn eines neuen Lebens in der Praxis bedeutete.
    »Uns eröffnen sich gewaltige Perspektiven«, sprach der Oberst.
    3
    Oberst Hermanni Kemppainen machte ein wenig Urlaub in Direktor Onni Rellonens Haus. Die Männer fanden viele für beide interessante Themen. Sie hielten Rück­ schau auf ihr Leben, sprachen sich aus. Die Gespräche waren eine Therapie, daraus entstand eine Freund­ schaft, wie sie die Männer noch nie vorher erlebt hatten. Ab und zu saunierten sie oder angelten auf dem See. Der Oberst ruderte, der Direktor hielt die Spinnangel. Sie fingen drei Hechte, die sie sich brieten.
    Nach dem Essen schossen sie zum Spaß mit Rello­ nens Revolver. Der Oberst tat sich dabei durch besonde­ re Geschicklichkeit hervor. Sie tranken die eine und andere Flasche Bier. Rellonen holte plötzlich einen alten Wecker aus dem Haus, stellte ihn auf seinen Kopf und bat den Oberst, das Ding zu zerschießen. Der Oberst zögerte, gab zu bedenken, dass die Kugel Rellonen zwi­ schen die Augen treffen könnte.
    »Das macht nichts, schieß nur.«
    Der abgenutzte Wecker war kaputt und Rellonen nicht tot. Das Spiel bereitete den Männern ein eigen­ tümlich makabres Vergnügen.
    Am Kaminfeuer äußerte Rellonen den Gedanken, dass es vielleicht gut wäre, noch mehr Schicksalsgefährten zu versammeln. Seines Wissens begingen in Finnland jährlich tausendfünfhundert Menschen Selbstmord, und zehnmal so viele fassten den Plan, sich das Leben zu nehmen. In der Hauptsache Männer. Er hatte diese Statistik in irgendeiner Zeitung gelesen, wie er sagte. Fälle von Mord und Totschlag gab es laut der Statistik einhundert pro Jahr.
    »Zwei Bataillone Männer töten sich jedes Jahr, und eine Brigade plant, es zu tun«, errechnete der Oberst. »Sind wir wirklich so viele? Eine ziemliche Armee.«
    Rellonen spann den Faden weiter.
    »Mir kam nur so der Gedanke, wie es wäre, wenn man all diese Leute einmal zusammenbrächte, also all jene, die sich mit dem Gedanken an Selbstmord tragen. Man könnte sich austauschen und über gemeinsame Pro­ bleme reden. Ich glaube, dass manch einer seinen Selbstmord aufschieben würde, wenn er anderen Inter­ essenten offen von seinem Kummer erzählen könnte. So wie wir beide es jetzt hier zwei Tage lang gemacht haben. Wir haben von morgens bis abends geredet, und es geht jedem von uns gleich viel besser.«
    Der Oberst gab zu bedenken, dass die Gespräche nicht sehr amüsant werden würden. Wenn sich Men­ schen treffen, die Selbstmord begehen wollen, dann wird zwangsläufig über ziemlich trostlose Dinge geredet. Es wäre keine sehr fröhliche oder befreiende Versammlung. Und was würde sie bringen? Womöglich wären die Leute hinterher noch deprimierter.
    Rellonen gab sich nicht geschlagen. Er fand, dass ein solches Treffen bestimmt einen therapeutischen Effekt hätte. Der Mensch schöpft Lebensmut, wenn er weiß, dass es auch anderen schlecht geht, dass er nicht als Einziger auf der Welt arm dran ist.
    »Gerade so ist es uns doch ergangen. Hätten wir uns nicht getroffen, wären wir tot. Ist es nicht so?«
    Der Oberst musste zugeben, dass ihnen beiden das gemeinsame Schicksal geholfen hatte, wenigstens für einige Zeit. Denn aufhängen würde er sich vermutlich trotzdem. Die Schwierigkeiten hatten sich in diesen Tagen nicht verflüchtigt. Die Sache war nur aufgescho­ ben. Rellonens Freundschaft hatte ihm nicht die Frau ersetzt oder seine anderen Probleme gelöst.
    »Du bist ein finsterer Charakter, Hermanni.« Der Oberst gab zu, dass Militärs generell so veranlagt
    waren, und die potenziellen Selbstmörder unter ihnen besonders. Er vermutete, dass er vielleicht schon näch­ ste Woche am Balken hängen werde, wenn er erst wie­ der allein mit sich sei.
    Nach Rellonens Meinung lohnte es jedoch, über die Idee nachzudenken. Sie könnten
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