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Der wunderbare Massenselbstmord

Titel: Der wunderbare Massenselbstmord
Autoren: Arto Paasilinna
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fertig und legte sie um seinen Hals. Er war barhäuptig. Ein Militär und ohne Dienstmütze unterwegs, das bedeutet nichts Gu-tes. Der Mann war dabei, Selbstmord zu begehen, um Gottes willen… Die Welt ist wirklich klein, du meine Güte, dachte Onni Rellonen. Da gehen zwei finnische Männer zur selben Zeit in dieselbe Scheune, und beide mit derselben schrecklichen Absicht. Direktor Onni Rellonen stürzte zum Eingang der Scheune und schrie:
    »Hören Sie auf, guter Mann, Herr Oberst!« Der Oberst erschrak zu Tode. Er wankte, das Seil um
    seinen Hals straffte sich, er zerrte daran, hätte sich gewiss erhängt, wenn Onni Rellonen nicht zu Hilfe geeilt wäre. Onni schlang die Arme um den Oberst, lockerte das Seil, klopfte ihm beruhigend auf den Rücken. Das Gesicht des Oberst war schweißig und blau, das Seil hatte ihn heftig gewürgt. Onni Rellonen löste die Schlin­ ge vom Hals des Mannes und führte ihn nach draußen, damit er sich hinsetzen konnte. Der Unglückliche rang nach Atem, hielt sich den Hals. Ein roter Striemen war darauf zu sehen, viel hatte nicht gefehlt.
    Die Männer saßen eine Minute lang da, ohne etwas zu sagen. Dann stand der Oberst auf, reichte dem anderen die Hand und stellte sich vor:
    »Kemppainen, Oberst Hermanni Kemppainen.« »Onni Rellonen, freut mich.«
    Der Oberst sagte, dass er nicht ganz derselben Mei­ nung sei, was die Freude betreffe. Vielmehr sehe alles sehr traurig für ihn aus. Er hoffe, dass sein Retter nie­ mandem von dem Vorgefallenen erzähle.
    »Schwamm drüber, so was kommt vor«, versprach Onni Rellonen. »Eigentlich hatte ich dieselbe Absicht«, fügte er hinzu und zog seinen Revolver heraus. Der Oberst starrte die geladene Waffe lange an, ehe er be-griff. Er war nicht allein auf der Welt!
    2
    Ein kleiner Zufall hatte zwei ausgewachsenen Mannsbil­ dern das Leben gerettet. Wenn ein Selbstmord miss­ glückt, so ist das nicht unbedingt die traurigste Sache der Welt. Dem Menschen gelingt nicht alles.
    Sowohl Onni Rellonen als auch Hermanni Kemppai­ nen hatten zufällig zur Ausführung ihrer Tat dieselbe Scheune gewählt und sich gleichzeitig dort eingefunden. Dadurch war eine Störung entstanden, die den Selbst­ mord verhindert hatte. Die Männer mussten ihr Vorha­ ben aufgeben, und das taten sie im gegenseitigen Ein­ vernehmen. Daraufhin rauchten sie ihre erste Zigarette im wiedergeschenkten Leben. Anschließend schlug Rellonen vor, gemeinsam zu seinem Sommerhaus zu gehen, da sie in diesem Moment ohnehin nichts anderes vorhatten.
    Onni Rellonen erzählte dem Oberst von seinen Le­ bensumständen, die ihn veranlasst hatten, den schreck­ lichen Entschluss zu fassen. Der Oberst hörte teil­ nahmsvoll zu. Dann schilderte er seinerseits die eigene Situation. Auch für ihn gab es keinen Anlass zum Ju­ beln.
    Kemppainen war Brigadekommandeur in Ostfinnland gewesen, aber seit dem letzten Jahr befand er sich in einer Art Quarantäne, war dem Generalstab zugeteilt, als Assistent des Inspekteurs der Infanterie. Er hatte keine Arbeit und keine Brigade. Er galt als nicht fähig genug, man hatte keine Verwendung für ihn. Er war wie ein aus dem Ausland zurückbeorderter Diplomat, durfte seinen Rang und sein Gehalt behalten, aber das war auch alles.
    Ein Militär lässt sich von einer derartigen Diskrimi­ nierung natürlich nicht so entmutigen, dass er sich gleich aufhängt. Das Problem lag woanders: Kemppai­ nens Frau war im Winter an Krebs gestorben. Daran war er zerbrochen, er konnte es eigentlich immer noch nicht glauben. Nichts funktionierte mehr. Die Wohnung war verwaist, Kinder hatte er keine, nicht einmal einen Hund. Die Einsamkeit war so quälend, dass ihn schon der bloße Gedanke daran belastete. Die Nächte waren am schlimmsten, der Oberst hatte seit Monaten nicht mehr richtig geschlafen. Nicht einmal Schnaps half, vom Trinken wurde seine Frau auch nicht wieder lebendig. Seine liebe Frau… das hatte der Oberst erst nach ihrem Tod begriffen.
    Das Leben hatte seine Bedeutung verloren. Wenn we­ nigstens Hoffnung auf einen Krieg oder einen Aufstand bestanden hätte, aber die Entwicklung in der Welt war in den letzten Jahren eher friedlich verlaufen. An sich positiv, aber für den Berufssoldaten bedeutete es Ar­
    beitslosigkeit. Und die heutige Jugend hatte nicht den Mumm, einen Aufstand gegen das herrschende System anzuzetteln. Das gesellschaftliche Engagement der heutigen Jugend in Finnland bestand darin, die Wände der Bahnhofshalle mit Obszönitäten zu besprühen.
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