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Der wunderbare Massenselbstmord

Titel: Der wunderbare Massenselbstmord
Autoren: Arto Paasilinna
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Für die Führung oder Niederschlagung eines solchen Auf-stands benötigte man keine Obersten.
    Diese Welt brauchte keine Offiziere, zumindest keine Obersten, die aus der militärischen Aufstiegsspirale herausgefallen waren. Der Ruf der Militärs hatte sich in den letzten Jahren rapide verschlechtert. Ersatzdienst­ leistende stießen auf liebevolles Verständnis, aber die alten, durch eine harte Schule gegangenen Militärs wurden öffentlich verachtet. Gab man einem frechen Rekruten den Befehl zu robben, wurde man der Schin­ derei bezichtigt. Jedoch: Der Soldat, der im Krieg nicht zu robben bereit ist, den tötet der Feind, und seine Leiche wird ins Massengrab geschleift. Das begriffen die Menschenrechtseiferer einfach nicht. Oberst Kemppai­ nen sagte, dass ihn der Offiziersberuf frustriere. Die Militärs trainieren ihr ganzes Leben lang den Krieg: Es werden Manöver abgehalten, Kampfvorführungen orga­ nisiert, Schießübungen veranstaltet. Man studiert die Kunst des Tötens, feilt daran, wird immer geschickter und gefährlicher in diesem Handwerk.
    »Handelte es sich um eine akademische Laufbahn, wäre ich mindestens schon Doktor der Tötungswissen­ schaft. Doch in den Zeiten tiefen Friedens, in denen wir leben, hat man nie die Gelegenheit, seine Fähigkeiten in der Praxis anzuwenden. Ich könnte mich auch mit einem Kunstmaler vergleichen, der mit den Jahren immer besser und besser wird, einen Entwurf nach dem anderen macht, sich zum Meister seines Faches entwik­ kelt, aber nie eine einzige Arbeit ausstellen darf. Ein Offizier ist wie ein Spitzenkünstler, dem das Recht auf eine eigene Ausstellung abgesprochen worden ist.«
    Oberst Kemppainen erzählte, dass er am Vortag von Helsinki nach Jyväskylä, seinem Wohnort, gefahren sei, um Mittsommer zu feiern. Er sei so deprimiert gewesen, dass er hier in Häme auf eine Nebenstraße abgebogen
    und in eine alte Scheune gegangen sei, wo er die ganze Nacht apathisch neben einem Stapel morscher Heustangen gelegen habe. Er habe das Lärmen der feiernden Menschen am Seeufer hören können. Gegen Morgen sei er zum nahen See gegangen und habe sich vom Bootssteg vor irgendeiner Sommerhütte ein Stück Seil abgemacht. Anschließend sei er wie betäubt in die Scheune zurückgekehrt.
    Unterwegs hatte er plötzlich an der rechten Schläfe einen seltsamen Schlag verspürt, so als sei ihm eine Ader im Kopf geplatzt. Das Gefühl war wunderbar be­ freiend gewesen. Welche glückliche Fügung, er durfte in der Sommerlandschaft eines natürlichen Todes sterben, immerhin einigermaßen würdig. Eine Gehirnblutung war als Todesursache halbwegs akzeptabel, sogar für einen Oberst, besonders in Friedenszeiten. Er hatte den gebührenden Schwindel gefühlt und war auf dem Feld in die Knie gesunken, in der Hoffnung, dass die Todes­ krämpfe bald beginnen würden.
    Er hatte sich über die Schläfe gestrichen, denn von der geplatzten Ader war seine Haut verschmiert gewe­ sen. Dann hatte er seine Hand angesehen. Verflixt, das war gar kein Blut, sondern eine weiße, stinkende Masse gewesen. Erst nach einer Weile hatte er begriffen, dass er keinen Gehirnschlag erlitten hatte. Die Schuldige war eine am Himmel kreisende Möwe gewesen.
    Der Oberst war enttäuscht und beleidigt aufgestan­ den, hatte sich das Gesicht in einem Graben gewaschen und sich finster in die Scheune zurückgezogen. Nach­ dem er sich einige Zeit ausgeruht hatte, war er auf den Stapel mit den Heustangen geklettert und hatte Vorbe­ reitungen getroffen, sich zu erhängen. Auch diese Arbeit war nicht von Erfolg gekrönt gewesen, Rellonen hatte ihn mittendrin gestört.
    Die Männer fanden, dass das Vorhaben Selbstmord für diesen Tag seinen Reiz verloren hatte. Der Todeseifer war erlahmt. Sich umzubringen ist eine so persönliche Angelegenheit, dass dafür absolute Ruhe erforderlich ist. Ausländer mochten sich auf öffentlichen Plätzen verbrennen, demonstrativ und aus politischen oder religiösen Gründen, aber ein Finne sucht bei seinem Selbstmord kein Publikum. Darin waren sich die Män­ ner einig.
    In lebhaftem Gespräch erreichten sie Onni Rellonens Sommerhaus. Onni hatte die Eingangstür versehentlich offen gelassen. Manchmal verlässt der Mensch sein Haus in solchem Aufruhr der Gefühle, dass er vergisst, sein Eigentum vor Dieben zu schützen.
    Der Hausherr setzte seinem Gast belegte Brote und Bier vor und kündigte an, nach dem Essen die Sauna zu heizen. Oberst Kemppainen trug Wasser vom See her-auf, Direktor
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