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Der wunderbare Massenselbstmord

Titel: Der wunderbare Massenselbstmord
Autoren: Arto Paasilinna
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nachdem es den finsteren Unterdrücker gewaltsam bezwungen hat.
    So brach in der Provinz Häme, am Ufer des Humala­ järvi, der Morgen des Johannistages an. Leichter Rauch­ geruch von der nächtlichen Schlacht hing noch in der Luft: Am Abend waren rund um den See Lagerfeuer abgebrannt worden. Eine Schwalbe flog mit offenem Schnabel dicht über der Wasseroberfläche dahin und jagte Insekten. Das Wetter war ruhig und klar, die Men­ schen schliefen. Nur die Vögel sangen unermüdlich weiter.
    Ein einsamer Mann saß auf den Stufen vor seinem Sommerhaus, in der Hand hielt er eine ungeöffnete Bierflasche. Es war Direktor Onni Rellonen, und er hatte die traurigste Miene in der ganzen Gegend. Er gehörte nicht zu den Siegern der nächtlichen Schlacht. Er war schwer verwundet, und es gab kein Feldlazarett, in dem sein gebrochenes Herz hätte behandelt werden können.
    Rellonen war fast fünfzig Jahre alt, schlank, von mitt­ lerer Statur, er hatte ziemlich große Ohren, seine Nase war lang und an der Spitze gerötet. Bekleidet war er mit einem kurzärmeligen Sommerhemd und Cordhosen.
    Dem Mann war anzusehen, dass in ihm früher vielleicht explosive Kräfte geschlummert hatten, früher, aber jetzt nicht mehr. Er war müde, besiegt, vom Leben gebeutelt. Die Furchen in seinem Gesicht und sein schütteres Haar waren rührende Zeichen der Niederlage im Kampf gegen die Härte und Kürze des Lebens.
    Direktor Onni Rellonens Magen litt seit Jahrzehnten an Übersäuerung, und in den Falten der Därme lauerte ein beginnender Katarrh. Seine Gelenke waren in Ord­ nung, die Muskulatur ebenfalls, wenn man von einer leichten Erschlaffung absah. Dagegen war Onni Rello­ nens Herz verfettet und träge, es war nurmehr eine Bürde für den Körper, kein Lebenserhalter. Es bestand die Gefahr, dass das geplagte Herz stehen bleiben, den Körper lähmen und seinen Besitzer nach Lebenssaft dürsten, ja sterben lassen könnte. Das wäre ein schnö­ der Lohn für den Mann, der sich seit Embryozeiten auf sein Herz verlassen hatte. Wenn das Herz nur für hun­ dert Schläge ausruhen, Luft holen würde, wäre alles vorbei. Dann hätten Onni Rellonens bisherige Milliarden Herzschläge keinerlei Bedeutung. So ist der Tod. Tau­ sende finnischer Männer erleiden ihn jährlich. Niemand von ihnen kehrt zurück, um zu berichten, wie sich der Tod letzten Endes anfühlt.
    Im Frühjahr hatte Onni Rellonen damit begonnen, sein verfallenes Sommerhaus neu anzustreichen, hatte die Arbeit jedoch nicht vollendet. Der Farbeimer stand neben dem Steinsockel, der Pinsel, der auf dem Deckel lag, war hart geworden.
    Onni Rellonen war Geschäftsmann, hatte sich einmal Direktor genannt. Er hatte viele Jahre unternehmeri­ scher Tätigkeit hinter sich, schnellen Anfangserfolg, Aufstieg auf der Stufenleiter der Kleinindustrie, eine Schar Angestellter, Buchhaltung, Geld, Geschäfte. Er war Bauunternehmer gewesen, in den Sechzigerjahren sogar kleiner Fabrikant in der Walzblechindustrie. Aber ungünstige Konjunkturen und gierige Konkurrenten hatten Rellonens Traufen und Bleche AG in den Konkurs getrieben. Und dieser Konkurs war nicht der letzte geblieben. Sogar kriminelle Verstöße hatte man ihm zur Last gelegt. Zuletzt war Direktor Rellonen als Besitzer einer Wäscherei aufgetreten. Auch die hatte nichts abgeworfen: Jede finnische Familie besaß ihre eigene Waschmaschine, und wer keine hatte, war auch nicht daran interessiert, seine Wäsche zu waschen. Die gro­ ßen Hotels und Schwedenfähren hatten Rellonens Wä­ scherei keine Arbeit gegeben, die landesweiten Wäsche­ reiketten hatten ihm immer wieder die Aufträge vor der Nase weggeschnappt. In den Separees der Restaurants wurden solche Bestellungen ausgehandelt. Der neueste Konkurs hatte ihn im Frühjahr ereilt. Seitdem litt Onni Rellonen an starken Depressionen.
    Die Kinder waren erwachsen, die Ehe zerrüttet. Wenn sich Onni manchmal hinreißen ließ, Zukunftspläne zu schmieden, und diese seiner Frau vortrug, fand er kei­ nen Zuspruch, nicht einmal mehr bei ihr.
    »Krmh.«
    Das war ihr entmutigender Kommentar. Es war kein Widerspruch, keine Unterstützung, nichts. Alles war hoffnungslos, das ganze Leben und besonders das Ge­ schäftsleben.
    Direktor Onni Rellonen hegte seit dem Winter Selbst­ mordgedanken. Es war nicht das erste Mal. Sein Le­ bensmut war auch früher schon mehrfach erlahmt. Die Verzagtheit hatte wieder einmal die Oberhand gewonnen und dafür gesorgt, dass sich die gesunde Aggression in
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