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Die Insel Des Vorigen Tages

Die Insel Des Vorigen Tages

Titel: Die Insel Des Vorigen Tages
Autoren: Umberto Eco
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UMBERTO ECO

    DIE INSEL DES VORIGEN
    TAGES
    Roman

    Aus dem Italienischen von Burkhart Kroeber

    Carl Hanser Verlag
    Die Originalausgabe erschien 1994 unter dem Titel
    L’ isola del giorno prima bei Bompiani in Mailand.
    1 2 3 4 5 99 98 97 96 95
    ISBN 3-446-I8085-0
     R.C.S. Libri & Grandi Opere S. p. A. Mailand 1994
    Alle Rechte der deutschen Ausgabe:
    Carl Hanser Verlag München Wien 1995
    Satz: Reinhard Amann, Aichstetten
    Druck und Bindung: Franz Spiegel Buch GmbH, Ulm
    Printed in Germany
    Roberto de La Grive, ein junger piemontesischer Adeliger, erleidet in der Südsee Schiffbruch und treibt mit seinem Schiff in Sichtweite einer Insel. Da er jedoch nicht schwimmen kann, ist sie für ihn nur schwer erreichbar. Während der Zeit an Bord erfährt der Leser in Rückblicken eine Menge über die Biographie Robertos: Briefe an seine verehrte Signora, die er stürmisch aus der Ferne verehrt, und lückenhafte Aufzeichnungen, mit denen er sich die Zeit vertreibt.

    Is He Pacifique Sea my Home?
    (John Donne, Hymne to God my Gode )

    Stolto! a cul parlo? Misero! Che tento?
    Racconto il dolor mio
    a l’insensata riva a la mutola selce, al sordo vento...
    Ahi, ch’altro non risponde che il mormorar de l’onde!
    (Giambattista Marino, »Eco«, La Lira , 3, XIX)
    Daphne
    Und doch erfüllt mich meine Demütigung mit Stolz, und da zu solchem Privilegio verdammt, erfreue ich mich nun gleichsam einer verabscheuten Rettung: Ich glaube, ich bin seit Menschengedenken das einzige Wesen unsrer Gattung, das schiffbrüchig ward geworfen auf ein verlassenes Schiff .
    So, in unverbesserlichem Manierismus, Roberto de La Grive, vermutlich im Juli oder August 1643.
    Seit wie vielen Tagen war er auf den Wellen getrieben, an ein Brett gebunden, tagsüber mit dem Gesicht nach unten, um nicht von der Sonne geblendet zu werden, den Hals unnatürlich verrenkt, um kein Wasser in den Mund zu bekommen, verätzt von der Salzlauge, sicherlich fiebernd? Die Briefe lassen es nicht erkennen, sie lassen an eine Ewigkeit denken, aber es kann sich um höchstens zwei Tage gehandelt haben, sonst hätte er nicht überlebt unter der Peitsche des mengenden Phöbus (wie er bilderreich klagt)
    - er, der sich als so kränklich beschreibt, ein Nachttier aus angeborener Schwäche.
    Er war nicht imstande, die Zeit zu messen, aber ich glaube, das Meer hatte sich nach dem heftigen Sturm, der ihn von Bord der Amarilli gefegt hatte, recht bald wieder beruhigt, und das als Rettungsfloß dienende Brett, das ihm der Matrose maßgeschneidert hatte, dürfte ihn, von den Passatwinden über ein heiteres Meer getrieben in einer Jahreszeit, in der südlich des Äquators ein äußerst milder Winter herrscht, nicht allzuweit gebracht haben, ehe die Strömung es in die Bucht trieb.
    Es war Nacht, er war eingenickt und hatte nicht bemerkt, daß er auf das Schiff zutrieb, bis das Brett mit einem leichten Erzittern an den Bug der Daphne gestoßen war.
    Doch als er dann im Licht des Vollmonds erkannte, daß er unter einem Bugspriet dümpelte, direkt unter einem Vorderkastell, von welchem unweit der Ankerkette eine Strickleiter hing (die Jakobsleiter! hätte Pater Caspar gesagt), waren alle seine Lebensgeister sofort wieder da. Es muß die Kraft der Verzweiflung gewesen sein: Er überlegte, ob er noch Atem genug hatte, um zu schreien (aber seine Kehle war ein einziges trocknes Brennen) oder sich von den Stricken zu befreien, die ihn mit bläulichen Striemen gezeichnet hatten, und den Aufstieg zu versuchen. Ich glaube, in solchen Momenten kann ein Sterbender zu einem Herkules werden, der die Schlangen in der Wiege erwürgt. Robertos Aufzeichnung des Geschehens ist unklar, aber da er am Ende auf dem Vorschiff war, muß er sich irgendwie die Leiter hinaufgequält haben. Vielleicht hatte er sie Stück für Stück erklommen, nach jeder Sprosse erschöpft innehaltend, hatte sich dann über die Bordwand fallen lassen, war über die Taue gekrochen, hatte die Tür zum Vorderkastell offen gefunden ... Und der Instinkt muß ihn im Dunkeln an jenes Faß geführt haben, zu dessen Rand er sich dann hinaufzog, um eine Tasse an einer kleinen Kette zu finden. Er hatte getrunken, soviel er konnte, und war gesättigt zu Boden gesunken, vielleicht gesättigt im vollen Wortsinne, denn jenes Wasser mußte so viele ertrunkene Insekten enthalten haben, daß es ihm Trank und Speise in einem lieferte.
    Danach muß er vierundzwanzig Stunden geschlafen haben, denn es war Nacht, als er wieder erwachte, doch nun
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