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Die Insel Des Vorigen Tages

Die Insel Des Vorigen Tages

Titel: Die Insel Des Vorigen Tages
Autoren: Umberto Eco
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ein Flame war. Immerhin enthielt die letzte Zelle ein Datum, das nur wenige Wochen zurücklag, und nach ein paar unverständlichen Worten stand da unterstrichen in gutem Latein: quae dicitur pestis bubonica.
    Endlich eine Spur, ein Ansatz zu einer Erklärung: Auf dem Schiff war eine Epidemie ausgebrochen!
    Roberto war darüber nicht weiter beunruhigt: Er hatte seine Pest vor dreizehn Jahren gehabt, und wie jeder weiß, hat jemand, der die Krankheit einmal überstanden hat, eine Art Gnade erworben, als ob es diese Schlange nicht wagte, ein zweites Mal in die Lenden dessen zu fahren, der sie einmal gebändigt hat.
    Andererseits erklärte dieser Hinweis nicht viel und ließ Raum für andere Beunruhigungen. Es konnte zwar sein, daß alle an der Epidemie gestorben waren, aber dann hätte man doch, verstreut auf dem Deck, die Leichen der letzten finden müssen, wenn anzunehmen war, daß sie den vorher Gestorbenen ein frommes Seemannsbegräbnis hatten zuteil werden lassen.
    Allerdings fehlte ja auch die Schaluppe: Demnach könnten die letzten, oder auch alle, davongefahren sein. Was macht ein Schiff mit Pestkranken zu einem so bedrohlichen Ort, daß man ihn nur noch fliehen kann? Ratten vielleicht? Es schien Roberto, als könne er in der schwer lesbaren Schrift des Kapitäns ein Wort wie rottenest (Rattennest?) entziffern und sofort war er herumgefahren und hatte die Lampe hochgehalten in der Erwartung, etwas an den Wänden huschen zu sehen und jenes Quieken zu hören, das ihm auf der Amarilli das Blut hatte gefrieren lassen. Mit Schaudern erinnerte er sich, wie er einmal nachts aus dem Schlaf gefahren war, weil ihm ein pelziges Wesen das Gesicht gestreift hatte, was ihn so entsetzt hatte aufschreien lassen, daß Doktor Byrd herbeigestürzt war. Alle hatten sich hinterher über ihn lustig gemacht: Auch ohne Pest gibt es auf einem Schiff so viele Ratten wie Vögel in einem Wald, und daran muß sich gewöhnen, wer zur See fahren will.
    Aber hier gab es keine Spur von Ratten, jedenfalls nicht im Achterkastell. Vielleicht hatten sie sich allesamt in der Bilge versammelt, unten im Schiffsbauch, und warteten dort mit ihren roten Augen im Dunkeln auf frisches Menschenfleisch? Roberto beschloß, der Frage sofort nachzugehen. Wenn es normale Ratten in normaler Anzahl waren, würde er mit ihnen leben können. Und was sonst sollten sie auch sein - fragte er sich und wollte sich’s nicht beantworten.
    Er fand eine Büchse, ein Schwert und ein Jagdmesser. Er war Soldat gewesen: Die Büchse war eine leichte Muskete, eine von jenen callvers , wie die Engländer sagten, die man ohne Stützgabel anlegen konnte; er vergewisserte sich, daß Schloß und Pfanne in Ordnung waren, mehr um sicherzugehen als um sich daranzumachen, eine Rattenhorde mit Kugeln niederzustrecken, außerdem schob er sich auch das Messer in den Gürtel, das gegen Ratten nicht viel hilft.
    Sodann beschloß er, den ganzen Schiffsrumpf von vorne bis hinten zu untersuchen. Aufs Vorschiff zurückgekehrt, stieg er über eine schmale Treppe, die am Ansatz des Bugspriets hinunterführte, in die Speisekammer, wo er genügend Lebensmittel für eine lange Reise vorfand. Und da sie sich unmöglich über die ganze Dauer der bisherigen Reise so gut hätten halten können, mußte die Mannschaft sie erst vor kurzem in einem gastlichen Hafen an Bord genommen haben.
    Es gab Körbe mit frisch geräucherten Fischen, Pyramiden von Kokosnüssen und Fässer mit fremdartig geformten, aber eßbar aussehenden Knollen, die sich offenbar über lange Zeit aufbewahren ließen. Dazu Früchte von jener Art, wie sie Roberto nach den ersten Landungen in tropischen Häfen an Bord der Amarilli hatte auftauchen sehen, auch sie widerstandsfähig gegen den Zahn der Zeit, schuppig und stachelig, aber mit einem scharfen Geruch, der gut geschätztes Fleisch und zuckersüße verborgene Säfte versprach. Und aus irgendwelchen Produkten der Inseln mußte auch ‘jenes in Säcken gelagerte graue, nach Tuffstein riechende Mehl gewonnen worden sein, mit dem wahrscheinlich das Brot gebacken war, dessen Geschmack an jenen faden Knollen erinnerte, welche die Indianer der Neuen Welt Kartoffeln nannten.
    An der Rückwand entdeckte er auch ein knappes Dutzend Fäßchen mit Zapfhahn. Er probierte ein wenig vom ersten, und es war frisches Wasser, das erst kürzlich abgefüllt und mit Schwefel versetzt worden war, damit es länger trinkbar blieb. Es war nicht sehr viel, aber wenn man bedachte, daß auch die Früchte seinen
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