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Der Winterpalast

Der Winterpalast

Titel: Der Winterpalast
Autoren: Eva Stachniak
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Tuchbahnen wird Stanislaw in die Johanneskirche einziehen, wo er zum König gesalbt wird. Ich hoffe, die feierliche Zeremonie wird einiges von dem Ressentiment gegen ihn besänftigen.
    Ganz Warschau ist mit Festvorbereitungen beschäftigt. Der Weg, auf dem der neue König Stanislaw August von Polen durch
die Stadt ziehen wird, ist mit Fichtenbäumchen und Obelisken geschmückt. Auf dem Marktplatz, wo man ihm unter dem Jubel des Volks die Schlüssel der Hauptstadt übergeben wird, hat man einen Triumphbogen errichtet, getragen von allegorischen Figuren, die Liebe, Frieden, Tapferkeit und Gerechtigkeit verkörpern. In den nächsten Tagen soll noch ein Bildnis Stanislaws, gekrönt von dem polnischen weißen Adler, daran angebracht werden.
    Ich bemerke, dass die Stadt Möglichkeiten bietet, die Katharina gefallen würden. Hier im Herzen Polens könnte ich ganz leicht einen Salon nach Pariser Vorbild führen. Ich könnte die ganze elegante und gebildete Gesellschaft um mich versammeln. Selbst der König würde sich einfinden. Ein Ort, an dem man über die neuesten Bücher diskutiert, an dem man die klügsten Köpfe und die schönsten Frauen antrifft. Schon jetzt nehmen die Menschen hier ihre Zungen wenig in Acht, und in einer Umgebung, wo man unter lauter wichtigen und interessanten Leuten glänzen will, wird es erst recht leicht sein, sie zu allerlei Indiskretionen zu verleiten. 
     
    »Ich bin mir meiner Schwächen bewusst, Barbara«, sagt Stanislaw. »Aber ich kenne auch meine Stärken. Ich bin anpassungsfähig, ich bin geduldig, ich lasse mich nicht leicht provozieren oder kränken, ich orientiere mich immer daran, was möglich ist.«
    Ich sehe einen Fluss vor mir, der ruhig, aber unaufhaltsam dahinströmt.
    »Peter der Große wollte Polen als Puffer zwischen Russland und dem Rest Europas«, fuhr Stanislaw fort. »Und ein schwacher Puffer nutzt wenig. Ein starkes Polen ist im Interesse Russlands.«
    Im Königsschloss, das ziemlich heruntergekommen ist, weil die sächsischen Könige im fernen Dresden residierten, gehen wir von einem kahlen Raum zum nächsten. Unsere Schritte hallen wider von Wänden, an denen der Putz bröckelt, von Decken mit Schim
melflecken. Ich denke an die knarzenden Dielenböden des alten Winterpalasts, die längst durch Marmor aus dem Ural ersetzt sind.
    Warschau braucht Hofmaler und renommierte Architekten, ein anständiges Hoforchester und einen Kapellmeister. Eine Residenz, wo der König Gäste empfangen kann, ohne sich schämen zu müssen, wo widerstreitende Parteien zusammenkommen und eine gemeinsame Grundlage finden können. Stanislaw gerät immer mehr in Feuer, während er redet. Die Botschaft, die er der Welt übermitteln möchte, ist, dass Warschau, Polen und der polnische König weltoffen und modern sind und eine starke Regierung wollen.
    »Bleib hier in Warschau, Barbara, ich brauche dich. Ich bin mir bewusst, dass ich dir nichts bieten kann, was sich mit der Pracht von Sankt Petersburg vergleichen lässt, aber du bist hier unter Freunden.«
    Ich lasse zu, dass er meine Hand nimmt und sie an seine Lippen führt.
    Ich denke an Spione, die übergelaufen sind, die dem einen Herrn dienten, indem sie dem anderen nur sorgsam ausgewählte Informationen zukommen ließen. Das ist Verrat, aber durchaus möglich, wenn man noch Kraft hat zu kämpfen, wenn man daran glaubt, dass ein Herrscher die Nation, die er regiert, verändern kann.
    »Ich kann Ihnen anbieten –«
    Ich lasse ihn den Satz nicht zu Ende sprechen.
    »Sie haben mir schon viel zu viel angeboten«, sage ich.
     
    Vor dem Haus in der Senatorskastraße hat sich ein Schwarm Vögel auf einem kahlen Busch niedergelassen, der direkt am Zaun steht. Er ist offensichtlich wild aufgegangen. Ich weiß nicht, wie die Pflanze heißt, ich weiß nur, dass sie zäh ist und immer wieder austreibt, wenn man sie abschneidet. Das Schönste an dem Strauch sind die Beeren, jetzt schon verschrumpelt im Frost; sie sind blass orange und vorn an der Spitze rötlich gefärbt.
    Ich liebe das Geräusch der Feder, die leise übers Papier kratzt. Es ist gutes Papier mit einem Wasserzeichen, die Feder ist scharf, die schwarze Tinte trocknet schnell.
    Ich habe immer noch meine Kontakte in Sankt Petersburg, ihre Namen bleiben mein Geheimnis. Sie teilen mir in ihren Briefen lediglich Tatsachen und Beobachtungen mit, nichts weiter. Sie sind klug. Sie stellen keine Vermutungen an.
    Es ist hauptsächlich Neugierde, was mich dazu treibt, diese Informationen
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