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Der Winterpalast

Der Winterpalast

Titel: Der Winterpalast
Autoren: Eva Stachniak
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von erbitterten Streitereien unter den Garden die Rede gewesen war, von blutigen Köpfen und Messerstechereien. Die Orlows, so hieß es, wachten eifersüchtig darüber, dass ja keiner ihrer Kameraden auf den Gedanken kam, er könnte Grigori seinen Platz in Katharinas Bett streitig machen.
    Wie lange schon hatte ich mich täuschen lassen? Was alles war mir sonst noch entgangen? Was alles war bereits unwiederbringlich verloren?
    Katzen huschten fort, sobald sie meine Schritte hörten. Die Zofen sagten, Elisabeths alter Kater Murka sei verwildert. Sie sahen ihn manchmal durch die Gärten streifen und Spatzen belauern, aber sobald sich jemand näherte, verschwand er in der Hecke.
    Es war fast fünf Uhr, als ich in unsere Wohnung zurückkehrte, wo mich Mascha erwartete.
    Sie half mir beim Umziehen, nicht ohne lautes Wehklagen: Das schöne Kleid war ganz verschwitzt, die Strümpfe ruiniert. Wie konnte ich nur stundenlang durch die Gegend rennen, ich würde mir noch den Tod holen.
    »Die Kaiserin ist bestimmt schon auf«, sagte sie.
     
    »Da bist du ja, Warenka«, rief Katharina, als ich mit dem Silbertablett in ihr Arbeitszimmer trat. »Ich habe mir schon Sorgen um dich gemacht. Du bist noch nie zu spät gekommen. Was hast du denn, deine Hände zittern?«
    Es klang so viel aufrichtige Besorgnis in ihrer Stimme, dass mir einen Moment lang war, als könnte alles das, was ich erfahren hatte, nicht sein. Es war alles nur ein Irrtum, Darja musste Katharinas Absichten missverstanden haben. Der Gedanke war so verlockend für mich, dass ich wie betäubt und gelähmt dastand und das, was ich eigentlich hatte sagen wollen, nicht herausbrachte. »Darja ist ganz unglücklich«, stammelte ich endlich. »Sie will nicht bei der Aufführung tanzen.«
    Katharina schob einen Stapel Papiere beiseite und deutete auf einen Stuhl zum Zeichen, dass ich Platz nehmen sollte.
    »Ist es deswegen, weil der Schluss ihr nicht gefällt?«, fragte sie sanft. »Aber, weißt du, mir gefällt er auch nicht. Richte der armen Darenka aus, ich habe bereits mit Herrn Hilverding darüber gesprochen. Warum soll man mit einer Geschichte so traurige Gefühle heraufbeschwören?, habe ich gesagt. Erfahren wir im wirklichen Leben nicht schon Leid genug?«
    Ich spürte Panik in mir aufsteigen. Ein dunkles Unbehagen rührte sich in mir, das mich zugleich drängte und zurückschrecken ließ. »Es geht nicht um den Schluss«, murmelte ich.
    Ich stand immer noch, aber Katharina nahm keine Notiz davon. Sie skizzierte die Änderungen, die sie an dem Stück vorgenommen hatte. Hymenäus sollte im letzten Moment einschreiten und
Acis retten. Polyphem sollte, von Scham und Reue überwältigt, die Hände vors Gesicht schlagen und um Verzeihung bitten. Die Geschichte würde in eine Komödie verwandelt. Herr Hilverding hatte ihren Vorschlag ganz ausgezeichnet gefunden. Und dann, als käme ihr erst jetzt zu Bewusstsein, dass ich immer noch stand, fragte sie: »Aber warum setzt du dich denn nicht, Warenka?«
    »Es geht nicht um das Ballett«, sagte ich.
    Katharina legte ihre Schreibfeder weg. »Und worum geht es dann?« Sie sah mir in die Augen, freundlich besorgt, aber auch bereits ungeduldig drängend.
    Und da platzte es endlich aus mir heraus, wenn es auch nur eine stark abgemilderte Version dessen war, was ich mir vorgenommen hatte: »Haben Sie wirklich geglaubt, ich könnte Sie hintergehen? War ich nicht immer vollkommen loyal? Wie konnten Sie meiner Tochter solche Fragen stellen?« Katharinas Gesicht verfinsterte sich, aber ich ließ mich nicht aufhalten. »Darja ist nicht so, wie wir in ihrem Alter waren. Sie ist noch ein Kind .«
    Katharina starrte mich an, als redete ich irre. So unfassbar es mir heute auch ist, erwartete ich doch immer noch, dass sie mir eine befriedigende Erklärung geben würde. Als ließe sich das, was geschehen war, so einfach aus der Welt schaffen wie die schmutzige Zeichnung, die ich in kleine Fetzen zerrissen hatte. Aber dann hörte ich sie kalt sagen: »Du solltest nicht vergessen, wer du bist, Warwara. Was genau regt dich eigentlich so auf?«
    Tränen schossen mir in die Augen. »Sie haben meine Tochter benutzt, um mir nachzuspionieren.«
    »Ich wollte nur wissen, was geschehen ist. Du hast es mir verschwiegen.«
    Ihre Stimme klang so scharf, dass ich mich zu meinem eigenen Erstaunen prompt verteidigte und ihr zu erklären versuchte, dass mein Schweigen ganz unverdächtige Gründe gehabt hatte. »Grigori ist eifersüchtig auf Stanislaw. Er kam zu
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