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Der Winterpalast

Der Winterpalast

Titel: Der Winterpalast
Autoren: Eva Stachniak
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mir, um mich zu fragen, ob Stanislaw Ihnen noch schrieb. Er war so betrunken, dass er in meinem Wohnzimmer einschlief. Am nächsten Mor
gen schickte er ein Briefchen, in dem er sich entschuldigte und mich bat, niemandem etwas von seinem Besuch zu erzählen. Er schämte sich.«
    »Hast du das Schreiben noch?« Katharina beugte sich vor. Ihre Augen musterten mich scharf.
    »Ich habe es nicht aufgehoben. Ich hielt es nicht für wichtig.«
    »Ich habe dir schon einmal gesagt, du sollst es mir überlassen, zu entscheiden, ob ich etwas wissen sollte oder nicht, Warenka.«
    Die Erinnerung traf mich wie ein Peitschenhieb. Mir war, als spürte ich, wie die Schnur mir in die Haut schnitt. Und dazu kam noch der bittere Geschmack der Machtlosigkeit.
    »Sie sind die Kaiserin«, sagte ich. »Ihnen darf niemand widersprechen.«
    Sie seufzte wie eine Mutter, die es schwer hat mit ihrem widerspenstigen Kind und die doch sicher ist, dass sie am Ende die Oberhand behalten wird. »Ich habe keine Zeit, mich mit deinen Anklagen auseinanderzusetzen. Ich weiß, dass dir manches hier nicht gefällt, aber du hast keinen Grund, die in ihrem Stolz Gekränkte zu spielen. Reden wir nicht mehr davon. Sag Darenka, sie wird eine wunderbare Nymphe sein.«
    »Sie wird nicht tanzen«, hörte ich mich sagen.
    Katharina warf mir einen gereizten Blick zu.
    »Gut, Warenka, dann eben nicht, wenn ihr beide es nicht wollt. Und jetzt habe ich wichtige Dinge zu erledigen, und du musst dich erst einmal beruhigen, bevor wir wieder miteinander reden.«
    Ich ging zur Tür. Aber dann konnte ich doch nicht widerstehen.
    »Wie viele hatten Sie?«, fragte ich mürrisch.
    Sie blickte auf. »Wie viele was ?«
    » Zungen . Wer außer mir hat Sie auf dem Laufenden gehalten, was in Elisabeths Schlafzimmer vor sich ging?«
    Ich sah den Ausdruck ihres Gesichts, ein Lächeln mit einer Spur Mitleid darin. Ich tastete nach der Klinke.
    Dann stürzte ich hinaus und hastete tränenblind durch die weiten Marmorflure des Winterpalasts.

Epilog
    1764
    WARSCHAU
     
    M itternacht ist längst vorbei, wie meine mit einem Muster
aus diamantenen Blüten verzierte Uhr von Duval bestätigt, ein Geschenk von Katharina.
    Liebe Warenka , schrieb sie in ihrem letzten Brief, wann kommst du zurück? Ich stelle mir vor, wie sie frühmorgens an ihrem Schreibtisch sitzt, neben ihr auf einem Silbertablett eine Kaffeekanne.
    Die Flamme der Kerze neben mir flackert und knistert. Eine Motte, die sich die Flügel versengt hat, zappelt in einer Pfütze aus geschmolzenem Wachs. Ich überzeuge mich, dass die Federn spitz angeschnitten sind und die Tinte nicht zu dickflüssig ist, dass genügend Papier bereitliegt, mattes Papier – das satinierte tut meinen Augen weh. Die Tinte duftet süßlich, und doch liegt eine ganz leicht widrige Note in ihrem Geruch. Nur gelegentlich wird die stockdunkle Novembernacht draußen von der Laterne eines Passanten oder einer Kutsche erhellt, manchmal höre ich Hunde heulen. Stanislaw nannte in Sankt Petersburg solche Stunden »unbewachte Zeit«. In den Wintern des Nordens, wenn die Nacht früh hereinbricht und lange dauert, lässt die Wachsamkeit nach, Geständnisse gehen einem leicht über die Lippen, und Geheimnisse werden enthüllt.
     
    Noch am selben Tag hatte Katharina mich zu sich bestellt. »Dein unglückseliger Gefühlsausbruch darf eine jahrelange Freundschaft
nicht zerstören«, sagte sie. Mit großen Schritten ging sie im Raum hin und her. Ihre seidenen Röcke raschelten, der Saum ihres goldenen Kleids fegte über den Boden.
    Ich beobachtete sie. Ihre blauen Augen funkelten, ein warmes Lächeln spielte um ihre Lippen. Als ob nichts geschehen wäre, als ob ich mir alles nur eingebildet hätte.
    »Eine Reise ist jetzt genau das Richtige für dich, Warenka. Eine, die ich selbst gerne machen würde. Fahr mit Darja nach Paris, nach Berlin, nach Warschau. Damit sie etwas von der Welt sieht und eine Weile von hier weg ist. Komm mit ihr wieder an den Hof zurück, wenn ihre Schönheit in voller Blüte steht.«
     
    »Was schreibst du, Maman?«, fragte Darja heute Morgen. Ihr Polnisch klingt zu melodiös, man hört zu deutlich den russischen Einfluss.
    Mit mir spricht sie mittlerweile französisch.
    Ich rief mir die Zeit in Erinnerung, als meine Tochter fünf oder sechs war und, einen Beutel mit Brotstückchen unter dem Arm, zusammen mit mir zum Kanal am Sommerpalais ging, um die Enten zu füttern. Es war November, und das Wasser an den Ufern war schon gefroren. Darja
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