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Der Winterpalast

Der Winterpalast

Titel: Der Winterpalast
Autoren: Eva Stachniak
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weitererzählen.
    Ich beginne meinen Brief mit einer kleinen Anleihe bei Monsieur Voltaire, wohl wissend, in welch hohem Ansehen er bei Katharina steht. Gegen Ende des Candide bemerkt ein einfacher alter Mann, da diejenigen, die sich mit öffentlichen Angelegenheiten befassten, im Allgemeinen elend umkämen, begnüge er selbst sich damit, seinen Garten zu bebauen.
    Ich fand diese Zeilen tief bewegend und unwiderstehlich überzeugend , schreibe ich und bitte Katharina um meine Entlassung aus dem kaiserlichen Dienst.
    Was ich am liebsten schreiben möchte, ist einfach, allerdings darf ich es in dem Brief nicht offen aussprechen: Ich weiß, was die Macht einem Menschen antut. Ich weiß, dass man mit Furcht
dafür büßt. Ich will nicht, dass mein Kind in Ihrer Welt leben muss.
     
    Die Glocken beginnen zu läuten. Dreimal. Na Anioł Pański , nennt man es hier, das Angelusläuten. Darja ist von ihrem Spaziergang zurückgekommen. Von der Diele her, wo sie ihren Mantel und die Handschuhe ablegt, höre ich ihre Stimme. Sie klingt fröhlich und lebhaft.
    »Maman, bist du da?«, ruft sie. »Ich habe sie gefunden!«
    Sie verliert langsam ihren Akzent, ihr polnischer Wortschatz erweitert sich. Einmal hat ein alter Mann sie beschimpft, als sie auf der Straße russisch sprach. Das war ihr eine Lehre. In einem Jahr wird niemand mehr merken, dass sie nicht in Polen geboren ist.
    Sie beklagt sich nicht mehr über Warschau, und sie hat mittlerweile alle ihre Koffer ausgepackt. Bald wird sie ihre Sachen wieder packen müssen.
    Jetzt kommt sie herein in diesem anmutigen leichten Gang, der Stanislaw so gut gefällt.
    »Was hast du gefunden kison'ka ?«, frage ich.
    Sie setzt sich aufs Sofa und sieht mich an mit den dunklen Augen, die sie von Igor hat. Mir wird ganz eng in der Brust bei ihrem Anblick.
    »Die Vögel, die ich zum Geburtstag haben möchte.«
    Nachdem sie sich ein Dutzend Amazonenpapageien und gelbe, grüne und rosa Sittiche angesehen hat, ist ihre Wahl auf zwei südamerikanische Vögel gefallen. Sie sind schillernd grün mit schwarzen Halskrausen. Natürlich können sie noch nicht sprechen, aber Darja weiß genau, wie sie es ihnen beibringen wird. Der Unterricht wird am Abend stattfinden, immer zur selben Zeit. Sie wird ihren Schülern zuerst ein bisschen in Wein eingeweichtes Brot geben, dann wird sie den Käfig mit einem Tuch zudecken und den Vögeln immer wieder die Wörter oder Sätze vorsprechen, die sie lernen sollen. Anschließend wird sie das Tuch wieder weg
nehmen und die Lektion wiederholen, wobei sie den Sittichen einen Spiegel vorhält, damit sie denken, ein anderer Vogel spreche mit ihnen.
    Ich beobachte meine Tochter, während sie angeregt plaudert, ihr lebhaftes Mienenspiel, ihre glatten Wangen, ihre blitzenden Augen.
    »Weißt du noch, wie die Kaiserin fürchtete, du würdest ihre Vögel in Oranienbaum in die Freiheit entlassen?«, fragte ich.
    »Was für alberne Kleinigkeiten du im Gedächtnis behalten hast.« Meine Tochter lacht strahlend. Sie steht auf und küsst mich auf den Scheitel. Das macht sie öfter in letzter Zeit – dann komme ich mir immer ganz klein vor.
    Ich nehme all meine Kraft zusammen.
    »Ich muss dir etwas sagen.« Ich stochere mit dem Schüreisen an einem Birkenklotz im Kamin. Funken sprühen auf.
    »Was, Maman?«, fragt Darja. »Ist es eine Überraschung?«
    Ich schüttle den Kopf.
    Sie rümpft die Nase wie ein Kaninchen. Sie ist so reizend, dass ich ganz schwach werde.
    »Hör zu«, sage ich. »Ich möchte dir etwas erzählen.«
    »Ist es eine wahre Geschichte?«
    »Ja«, sage ich, »eine wahre Geschichte.«

Wichtige Personen des russischen Hofs
    1744-1765
    Kaiserin Elisabeth Petrowna , Tochter Peters des Großen und seiner zweiten Frau Katharina I .
     
    Großfürst Peter Fjodorowitsch (Karl Ulrich), später Kaiser Peter III .
     
    Großfürstin Katharina Alexejewna (Sophie), Prinzessin von Anhalt-Zerbst. Später Kaiserin Katharina II .
     
    Fürstin Johanna von Anhalt-Zerbst , Katharinas Mutter
     
    Alexej Bestuschew-Rjumin , Kanzler des russischen Reichs unter Kaiserin Elisabeth; später durch Vize-Kanzler Woronzow ersetzt
     
    Gräfin Woronzowa , Das Fräulein , eine von Katharinas Ehrendamen; Nichte des Vizekanzlers Woronzow und Schwester der Fürstin Daschkowa; Peters Mätresse
     
    Fürstin Daschkowa , eine Hofdame
     
    Iwan Iwanowitsch Schuwalow , ein Höfling und Favorit der Kaiserin Elisabeth
     
    Sergej Saltykow , ein Höfling
     
    Sir Charles Hanbury-Williams ,
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