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Grandios gescheitert

Grandios gescheitert

Titel: Grandios gescheitert
Autoren: Bernd Ingmar Gutberlet
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VORWORT
    Das moderne Ideal des Fortschritts hat den Menschen nicht durch seine gesamte Geschichte begleitet, aber der Drang, seine Fähigkeiten zur Anwendung zu bringen und die Welt um sich herum zu gestalten, gehört zu seinem Wesen. Doch schon früh entstellten Größenwahn, Megalomanismus und Überheblichkeit diesen eigentlich höchst förderlichen Aspekt des Menschseins. Das Paradebeispiel des Abendlandes für menschliche Hybris ist bis heute der Turmbau zu Babel, von dem im elften Kapitel des ersten biblischen Buches Genesis berichtet wird. Die Menschen fordern ihren Gott heraus, indem sie den Bau eines mächtigen Turms anstreben, der himmelhoch wachsen soll. Damit der Mensch dem Himmel und damit dem Göttlichen aber nicht allzu nahe kommt, sendet Gott die Sprachverwirrung unter die Menschen, damit der Mangel an Verständnis untereinander das Projekt zu Fall bringt.
    Die Geschichte vom gescheiterten Turmbau zu Babel soll dem Menschen vor Augen führen, dass er seine Fähigkeiten nicht dazu besitzt, über alles Maß hinweg die eigene Selbstübersteigerung zu betreiben. Dieses biblische Scheitern ist der drastische Hinweis darauf, dass nicht alles gut und zulässig ist, was machbar oder wünschenswert erscheint. Vielleicht ist der alttestamentliche Turmbau zu Babel nach der Sintflut der bekannteste biblische Topos, schon weil er über alle Zeiten hinweg auf doppelte Weise überzeugt: Der Drang des Menschen nach immer neuen Wagnissen und Rekorden ist bis heute nahezu ungebrochen, das biblische Turmmotiv weist also unzählige Entsprechungen auf. Und die Frage, was zu weit geht, wann der Mensch sein Können zähmen und seinen Drang nach neuen Höchstleistungen zügeln sollte, ist aktuell wie eh und je. Auch wenn es in unserer Zeit weniger um gottgleiche Anmaßung geht wie in der Bibel, und mehr um die Frage, wann der Bogen überspannt ist und die stolzen Fähigkeiten nicht mehr Gutes tun, sondern mindestens nachteilig oder zweifelhaft sind – wenn sie nicht gar die Lebensgrundlagen von Mensch und Natur gefährden und damit den Planeten insgesamt aufs Spiel setzen.
    Das Scheitern hat viele Gesichter. Dieses Buch versammelt eine illustre Reihe von Projekten durch die Jahrhunderte, deren Umsetzung auf die eine oder andere Art fehlschlug. Inhaltlich ist die Bandbreite groß und reicht vom jahrhundertelangen Traum der Goldherstellung bis zum Glauben an die universelle Heilkraft einer Wissenschaft; von technizistischen Schwelgereien bis zum honorigen Streben nach Weltverbesserung. Die Urheber der Vorhaben wurden von unterschiedlichen Motiven getrieben: Sie reichen von Überzeugung und Idealismus bis zu Allmachtsfantasien, von allzu zuversicht­lichem Machbarkeitsglauben über bloße egomanische Profilierungssucht bis zu übersteigerter Technikeuphorie. Die zwölf Projekte sind ebenso verschieden voneinander wie ihr Inhalt und der Grund ihres Scheiterns. Sie führen uns nach Südamerika und Sibirien, nach Chile und Kastilien, in die stalinistische Sowjetunion und ins nationalsozialistische Deutschland, ins Frankreich des Mittelalters und der Revolutionsjahre, an die Gestade des Mittelmeeres, in den Regenwald des Amazonas und ins Innere Afrikas.
    Einige Projekte sind so übersteigert oder vermessen, dass man bei aller Faszination ihr Scheitern nur begrüßen kann; das Misslingen anderer mag man bedauern. Aber sie sind auch in ihrem Planungsstand und dem Stand ihrer Erforschung verschieden: Manche sind in der Planung weit gediehen, ohne je den Punkt erreicht zu haben, wo die Umsetzung wirklich begonnen hätte. Mit anderen wurde tatsächlich begonnen, ohne dass rückblickend zu klären wäre, wie sie nach Fertigstellung wirklich ausgesehen hätten.
    Die Arbeit an diesem Buch, das sich auf die Erkenntnisse ungezählter Forscherkollegen gründet, ergab, wie viel schwieriger das Erzählen vom Scheitern ist als das von stolzen Höchstleistungen und Erfolgen: Durch die Geschichte schenkten Chronisten dem Misslingen viel weniger Aufmerksamkeit als dem Gelingen. Das ist natürlich menschlich, aber auch bedauerlich. Denn das Scheitern ist ja nicht weniger menschlich, und Triumph und Fehlschlag gehören zueinander. Anmaßung und Übertreibung halten ihre Lehren für die Nachgeborenen bereit – und zwar in besonderem Maße für uns Menschen des 21. Jahrhunderts, die wir vor großen Herausforderungen stehen, um unseren fragilen Planeten und das Projekt Menschheit nicht in existenzielle Gefahr zu bringen.

 

Wie eine Verwandlung zum
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