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Der Winterpalast

Der Winterpalast

Titel: Der Winterpalast
Autoren: Eva Stachniak
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einzuholen, ich möchte Bescheid wissen über die Menschen, die ich früher geliebt und gehasst habe und deren Leben ich nun aus der Distanz verfolge. Aber ich habe auch ein durchaus handfestes Interesse daran, denn nur ein Dummkopf achtet nicht auf die Wetterlage und die Meeresströmungen, die sein kleines Boot leicht zurück in einen Sturm treiben können. Grigori Orlow ist schon wieder hinter einer neuen Hofdame her; sein Bruder beobachtet immer noch wachsam jeden gutaussehenden jungen Mann, der sich an Katharina heranzumachen versucht. Alexej hat sich bereits mit einem gewissen Grigori Potemkin von der berittenen Garde angelegt und ihm in einem wüsten Handgemenge ein Auge ausgeschlagen.
     
    Katharina hat Geschenke geschickt – geräucherten Stör aus Astrachan und ein Buch von Brantôme –, eingeschlagen in schimmernden Stoff mit grünen Bändchen darum, die mit ihrem Wappen gesiegelt sind; es zeigt eine Biene, einen Bienenkorb und einen Honigtopf. Darja bekam zu ihrem fünfzehnten Geburtstag einen wunderschönen Vogelkäfig. Auf ein besticktes Kissen, das der Sendung beilag, war ein Kärtchen geheftet, auf dem Fürst Repnin, der russische Gesandte in Warschau, angewiesen wurde, meiner Tochter zwei exotische Vögel ihrer Wahl auszuhändigen, damit sie sich an ihren Kapriolen erfreue.
    Wenn du zurückkehrst , schrieb mir Katharina, wird Darja eine wunderschöne Hofdame werden, die eine erstklassige Partie machen kann. Russland vergisst die Seinen nicht.
    Ich denke an Ropscha. An den Regen draußen im Dunkeln, der an die Fenster des Schlösschens peitschte. An die Bäume, die sich im Wind bogen, die Felder, über die Bäche von schlammigem Wasser flossen.
    In dieser Nacht, fünf Tage nach dem Putsch, hatte es keinen spontan aufflammenden Streit gegeben, keine Prügelei unter Betrunkenen, keine unglückseligen Umstände.
    Die Tür war aufgegangen. Der Mann mit dem Narbengesicht, der in Peters Zimmer trat, war unbewaffnet. Er brauchte keine Waffe. Er konnte mit bloßen Händen ein Hufeisen auseinanderbrechen.
    Er brauchte keine Befehle. Er wusste, was die Kaiserin sich wünschte. Er wusste, was er zu tun hatte, um sich die kaiserliche Gunst zu erhalten.
    Ich stelle mir vor, wie Peter auf die Knie fiel, wie er schluchzend um sein Leben bettelte. »Wieso sollte sie einen Trottel wie mich fürchten? Ich will weiter nichts als leben wie irgendein gewöhnlicher Mensch.« Seine Stimme, heiser und schrill, wurde lauter, er geriet in Panik.
    Ich bete, dass er zu betrunken war, um es richtig wahrzunehmen, als Alexej Orlows Hände sich um seinen Hals legten. Ich hoffe, Alexej hat entschlossen zugedrückt, denn am Ende, wenn nichts anderes mehr bleibt, ist ein schneller Tod die einzige Gnade.
     
    Ich sehe mir einen Handzettel an, den ich von Herrn Korn bekommen habe. Eine Planskizze, eine Zeichnung von einem Herrenhaus mit einem Portal, das auf zwei Säulen ruht. Ein kleiner Gutshof mit einem Stall, einer Remise und einem gepflegten Obstgarten, zehn Meilen südlich von Krakau. Der Eigentümer starb ohne Nachkommen. Der entfernte Cousin, der das Anwesen geerbt hat, kann nichts damit anfangen und will es zu Geld machen.
    Das Gut heißt Vishin. Ich habe es gekauft.
    Es ist weit weg von der russischen Grenze , sage ich mir. Die Zukunft ist wichtiger als die Vergangenheit.
     
    An die Kaiserin persönlich , schreibe ich. Ich will den Brief erst aufsetzen und dann in meiner besten Handschrift ins Reine schreiben. Im Grunde ihres Herzens wird sie froh sein, sage ich mir, dass sie mich nicht mehr zu sehen braucht. Ich würde sie immer an ihre Träume von früher erinnern.
    Die Zeit hat für mich gearbeitet.
    Nach den Monaten der Reise bin ich, was die Angelegenheiten der Kaiserin betrifft, schon nicht mehr auf dem Laufenden. Ich habe mich zum Landleben bekehrt, zu einem abgeschiedenen Dasein als Privatperson, die nur wenigen Menschen wichtig ist.
    Darja wird nicht Katharinas Hofdame werden. Sie wird es verstehen, wenn ich es ihr erkläre. Sobald die Krönungsfeierlichkeiten vorbei sind, reise ich nach Vishin ab. Ich möchte in Vergessenheit geraten, verschwinden.
    Ich war nicht ihre einzige Spionin , sage ich mir. Es hat auch seine Vorteile, nicht so wichtig zu sein.
    Ich habe das Landgut mit dem Geld bezahlt, das ich aus Russland mitgebracht hatte, die Belohnung für meine Beteiligung an Katharinas Verschwörung. Ich habe es bis jetzt nur Herrn Korn erzählt, dass wir nach der Krönung abreisen, und er wird es niemandem
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