Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Winterpalast

Der Winterpalast

Titel: Der Winterpalast
Autoren: Eva Stachniak
Vom Netzwerk:
warf den Enten Brot hin und sah voller Vergnügen zu, wenn sie gierig darauf zu liefen und auf dem glatten Eis schlitterten und übereinanderpurzelten. Sie dachte, die Enten vollführten eigens zu ihrer Unterhaltung drollige Kunststückchen.
    »Ich schreibe meine Gedanken auf«, antwortete ich.
    »Was für eine Art von Gedanken?«
    »Solche, die ich nicht vergessen möchte.«
     
    Wir reisten nach Paris und Wien. Wir spazierten an breiten Boulevards entlang, sahen herrliche Gemälde, wurden in prächtigen Palästen aufs höflichste und mit einiger Neugier empfangen. Ich musste lächeln, als ich hörte, was alles über mich, die intime Vertraute der russischen Kaiserin, erzählt wurde. Die verwitwete
russische Gräfin und ihre reizende Tochter erregten viel Aufsehen, natürlich, denn uns umgab die glänzende Aura kaiserlicher Gunst.
    Und ganz besonders hell strahlt dieses Licht der Freundschaft mit Katharina in Paris. Monsieur Voltaire tut sein Bestes, auch etwas davon abzubekommen. In seinen Briefen an Katharina, die in Abschriften weit verbreitet werden, nennt er sie eine Philosophin auf dem Thron, die Semiramis des Nordens, den Polarstern, der allen Reisenden untrüglich den rechten Weg weist.
    Er ist hingerissen von dem Gedanken, dass Katharina das barbarische Russland umkrempeln, der beispiellosen Verwahrlosung und Korruption ein Ende bereiten wird – gerade so, als hätte Frankreich derartige Übel nie gekannt. Katharina werde die russischen Sümpfe trockenlegen und die wilden Nadelwälder roden, verkündet er. Sie habe ein Spital und Findelhaus gegründet. Die russischen Senatoren arbeiteten so fleißig wie noch nie. »Ihr Wappentier ist eine Biene, ihre Devise lautet Nützlich «, ruft er denen zu, die ehrfürchtig in seinen Fußstapfen wandeln.
    Ich hielt mich in Paris auf, als in allen Zeitungen die Meldung erschien, dass man jenen Iwanuschka, der als Säugling für kurze Zeit Kaiser Iwan VI . gewesen und dann mehr als zwanzig Jahre lang in der Festung Schlüsselburg gefangen gehalten worden war, tot in einer Blutlache aufgefunden hatte. Auch Katharinas Verlautbarung dazu war abgedruckt: Die ernste und gefährliche Verschwörung ist im Keim erstickt . Auf Flugblättern, die in den Straßen verteilt wurden, stand etwas anderes zu lesen: Kaum ein Jahr nachdem Peter III . gestorben ist, kam ein weiterer unbequemer Kaiser zu Tode. Wie viele solcher tragischer »Unfälle« werden in Russland noch passieren? Andere anonyme Autoren wurden noch deutlicher: Ist sie eine Philosophin auf dem Thron oder nicht vielmehr eine Messalina, die keinen Verrat scheut und mordet, wie es ihr gefällt?
    »Ich kenne die Kaiserin nicht so gut«, sagte ich, wenn jemand mich fragte.
    Aber schon bald traten andere Nachrichten aus Russland in den Vordergrund: Katharina fing an, in großem Stil Gemälde zu kaufen. Ganze Sammlungen, die in irgendwelchen baufälligen Schlössern unbeachtet an den Wänden hingen, waren nun plötzlich gutes Geld wert. Der Agent der Kaiserin zahlte prompt und stellte keine unnötigen Fragen. Nur in einem Punkt war er heikel: Da seine Auftraggeberin ein weiblich empfindsames Herz hatte, kaufte er grundsätzlich keine Bilder, die Tod und Verderben zum Gegenstand hatten.
    Wie rührend , hörte ich die Leute sagen. Wie typisch russisch.
    Ich rief mir in Erinnerung, was ich gelernt hatte: Herrschen heißt, die Schwächen des menschlichen Herzens zu erkennen und sie zum eigenen Vorteil zu nutzen.
    Und ich sagte mir: Du hast kein Recht, etwas anderes zu erwarten.
    Hast du dich nicht selbst ihre Freundin genannt? Hast du nicht selbst mit aller List und Schlauheit, die dir zu Gebote standen, ihre Geheimnisse gehütet?
     
    Wir kamen in der ersten Septemberwoche in Warschau an, genau an dem Tag, an dem Stanislaw, wie Katharina es gewünscht hatte, zum König von Polen gewählt worden war.
    Es war kalt, und es dämmerte bereits, als wir durch das Gewirr von Straßen und Gassen in Richtung der Weichsel fuhren. Ich öffnete das Fenster der Kutsche, um frische Luft hereinzulassen. Die Luft war erfüllt vom Summen aufgeregter Stimmen, aber ich konnte nicht verstehen, worüber die Leute redeten.
    Ich war fast dreißig Jahre nicht mehr hier gewesen, aber ich konnte doch meiner Tochter die spitzen Türme der Kathedrale und das Dach des Schlosses zeigen, die sich vor dem Abendhimmel abzeichneten. Alles kam mir viel kleiner vor, als ich es in Erinnerung hatte – es war erstaunlich. Als wir die Senatorskastraße erreichten, wo
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher