Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Weg zurück

Der Weg zurück

Titel: Der Weg zurück
Autoren: E.M. Remarque
Vom Netzwerk:
ist als Einziger von uns stehen geblieben. Er geht ruhig einige Schritte aus der Deckung heraus, auf die Straße. Kosole steht wieder auf. Wir anderen besinnen uns ebenfalls und rücken verwirrt und verlegen unsere Koppel und Gewehrriemen zurecht – seit einigen Tagen wird ja nicht mehr gekämpft.
    Die Amerikaner stutzen, als sie uns sehen. Ihr Gespräch bricht ab. Sie nähern sich langsam. Wir ziehen uns gegen einen Schuppen zurück, um den Rücken gedeckt zu haben, und warten ab. Nach einer Minute des Schweigens löst sich ein baumlanger Amerikaner aus der Gruppe vor uns und winkt.
    »Hallo, Kamerad!«
    Adolf Bethke hebt ebenfalls die Hand. »Kamerad!«
    Die Spannung weicht. Die Amerikaner kommen heran. Einen Augenblick später sind wir von ihnen umringt. So nahe haben wir sie bisher nur gesehen, wenn sie gefangen oder tot waren.
    Es ist ein sonderbarer Moment. Schweigend blicken wir sie an. Sie stehen im Halbkreis um uns herum, lauter große, kräftige Leute, denen man gleich ansieht, dass sie immer satt zu essen gehabt haben. Alle sind jung – nicht einer von ihnen ist annähernd so alt wie Adolf Bethke oder Ferdinand Kosole, und das sind doch noch längst nicht unsere Ältesten. Aber auch keiner von ihnen ist so jung wie Albert Troßke oder Karl Bröger – und das sind noch immer nicht unsere Jüngsten.
    Sie tragen neue Uniformen und neue Mäntel; ihre Schuhe sind wasserdicht und passen genau; ihre Waffen sind gut und ihre Taschen voller Munition. Alle sind frisch und unverbraucht.
    Gegen diese Leute sind wir die reine Räuberbande. Unsere Uniformen sind gebleicht vom Dreck der Jahre, vom Regen der Argonnen, vom Kalk der Champagne, vom Sumpfwasser in Flandern – die Mäntel zerfetzt von Splittern und Schrapnells, geflickt mit groben Stichen, steif von Lehm und manchmal von Blut –, die Stiefel zerlatscht, die Waffen ausgeleiert, die Munition fast zu Ende; alle sind wir gleich dreckig, gleich verwildert, gleich müde. Der Krieg ist wie eine Dampfwalze über uns hinweggegangen.
    Immer mehr Truppen rücken heran. Der Platz ist jetzt voll von Neugierigen.
    Wir stehen immer noch in der Ecke, um unsere Verwundeten gedrängt – nicht weil wir Angst haben, sondern weil wir zusammengehören. Die Amerikaner stoßen sich an und zeigen auf unsere alten, verbrauchten Sachen. Einer bietet Breyer ein Stück weißes Brot an, aber der nimmt es nicht, obschon in seinen Augen der Hunger steht.
    Plötzlich deutet jemand mit einem unterdrückten Ausruf auf die Verbände unserer Verwundeten. Sie bestehen aus Krepp-Papier und sind mit Bindfäden umschnürt. Alle blicken hin – dann treten sie zurück und flüstern miteinander. Ihre freundlichen Gesichter werden mitleidig, weil sie sehen, dass wir nicht einmal mehr Mullbinden haben. Der Mann, der uns vorhin gerufen hat, legt Bethke die Hand auf die Schulter. »Deutsche – gute Soldat –«, sagt er, »brave Soldat –«
    Die anderen nicken eifrig.
    Wir antworten nicht, denn wir können jetzt nicht antworten. Die letzten Wochen haben uns mächtig mitgenommen. Wir mussten immer wieder ins Feuer und verloren unnütz Leute; aber wir haben nicht viel gefragt, sondern haben es getan, wie wir es all die Zeit getan haben, und zum Schluss hatte unsere Kompanie noch zweiunddreißig Mann von zweihundert. So sind wir herausgekommen, ohne weiter nachzudenken und ohne mehr zu fühlen, als dass wir richtig gemacht haben, was uns aufgetragen worden war.
    Jetzt aber, unter den mitleidigen Augen der Amerikaner, begreifen wir, wie sinnlos das alles zuletzt noch gewesen ist. Der Anblick ihrer endlosen, reichlich ausgerüsteten Kolonnen zeigt uns, gegen welch eine hoffnungslose übermacht an Menschen und Material wir standgehalten haben.
    Wir beißen uns auf die Lippen und sehen uns an. Bethke zieht die Schulter unter der Hand des Amerikaners fort, Kosole starrt vor sich hin, Ludwig Breyer richtet sich auf – wir fassen unsere Gewehre fester, unsere Knochen straffen sich, die Augen werden härter und senken sich nicht, wir sehen wieder die Landschaft entlang, aus der wir kommen, unsere Gesichter werden verschlossen vor Bewegung, und heiß geht es noch einmal durch uns hin: alles, was wir getan, alles, was wir gelitten und alles, was wir zurückgelassen haben.
    Wir wissen nicht, was mit uns ist; aber wenn jetzt ein scharfes Wort hineinflöge, so würde es uns zusammenreißen, ob wir wollten oder nicht, wir würden vorstürzen und losbrechen, wild und atemlos, verrückt und verloren, und kämpfen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher