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Der Weg zurück

Der Weg zurück

Titel: Der Weg zurück
Autoren: E.M. Remarque
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Brüder. über Krieg und Tod trifft hier plötzlich etwas aufeinander, das alles überstanden hat: der Geschäftsgeist.
    Ledderhoses Gegner merkt bald, dass nichts für ihn zu machen ist, denn Arthur lässt sich nicht täuschen: sein Handel ist im Einzelnen bedeutend vorteilhafter. Er tauscht, bis die Kiste leer ist. Neben ihm sammelt sich allmählich ein Haufen Sachen an, sogar Butter, Seide, Eier und Wäsche, sodass er zum Schluss dasteht wie ein Kolonialwarenladen auf O-Beinen.
    Wir brechen auf. Die Amerikaner rufen und winken hinter uns her. Besonders der Sergeant ist unermüdlich. Auch Kosole ist bewegt, soweit das einem alten Soldaten möglich ist. Er grunzt ein paar Abschiedslaute und winkt; allerdings sieht das bei ihm immer noch so aus, als ob er drohe. Dann äußert er zu Bethke: »Ganz vernünftige Kerle, was?«
    Adolf nickt. Schweigend gehen wir weiter. Ferdinand lässt den Kopf hängen. Er denkt. Das tut er nicht oft, aber wenn es ihn gepackt hat, dann ist er zähe und kaut lange daran herum. Ihm will der Sergeant aus Dresden nicht aus dem Kopf.
    In den Dörfern starren die Leute hinter uns her. In einem Bahnwärterhaus stehen Blumen am Fenster. Eine Frau mit vollen Brüsten stillt ein Kind. Sie hat ein blaues Kleid an. Hunde bellen uns an. Wolf bellt zurück. Am Wege bespringt ein Hahn eine Henne. Wir rauchen gedankenlos.
    Marschieren, marschieren. Die Zone der Feldlazarette. Die Zone der Proviantämter. Ein großer Park mit Platanen. Unter den Bäumen Tragbahren und Verwundete. Die Blätter fallen und decken sie zu mit Rot und Gold.
    Ein Gaslazarett. Schwere Fälle, die nicht mehr transportiert werden können. Blaue, wächserne, grüne Gesichter, tote Augen, zerfressen von der Säure, röchelnde, würgende Sterbende. Alle wollen fort, denn sie fürchten sich vor der Gefangennahme. Als wenn es nicht gleich wäre, wo sie sterben.
    Wir versuchen, sie zu trösten, indem wir ihnen sagen, bei den Amerikanern würden sie besser verpflegt werden. Aber sie hören nicht darauf. Sie rufen uns immer wieder zu, wir möchten sie mitnehmen.
    Das Rufen ist schrecklich. Die blassen Gesichter sehen so unwirklich aus in der klaren Luft hier draußen. Am schlimmsten aber ist es mit den Bärten. Sie stehen sonderbar für sich, hart, eigensinnig, wuchernd und wachsend um die Kinnbacken, ein schwarzer Pilzbelag, der sich nährt, je mehr sie verfallen.
    Manche von den Schwerverletzten strecken ihre dünnen, grauen Arme aus wie Kinder. »Nehmt mich doch mit, Kameraden«, betteln sie, »nehmt mich doch mit, Kameraden.«
    In ihren Augenhöhlen hocken schon tiefe, fremde Schatten, aus denen sich die Pupillen nur noch wie Ertrinkende hervorquälen. Andere sind still; sie folgen uns nur mit den Blicken, so weit sie können.
    Allmählich wird das Rufen schwächer. Die Straßen gehen langsam vorbei. Wir schleppen viele Sachen, denn man muss doch etwas mitbringen nach Hause. Wolken hängen am Himmel. Nachmittags bricht die Sonne durch, und Birken, nur noch mit wenigen Blättern, spiegeln sich in den Regenlachen am Wege. Leichter, blauer Duft hängt in den Ästen.
    Während ich marschiere, den Tornister auf dem Rücken, den Kopf gesenkt, sehe ich am Rande der Straße, in den klaren Regenpfützen, das Bild der hellen, seidenen Bäume. Es ist in diesem zufälligen Spiegel stärker als in Wirklichkeit. Eingebettet in den braunen Boden liegt da ein Stück Himmel mit Bäumen, Tiefe und Klarheit, und ich erschauere plötzlich. Zum ersten Mal seit langer Zeit fühle ich wieder, dass etwas schön ist, dass dieses hier einfach schön ist, schön und rein, dieses Bild in der Wasserlache vor mir – und in diesem Erschauern steigt mir das Herz hoch, alles fällt für einen Augenblick ab, und jetzt spüre ich es zum ersten Male: Frieden – sehe es: Frieden – empfinde es ganz: Frieden. Der Druck weicht, der nichts freigab bisher, ein Unbekanntes, Neues fliegt auf, Möwe, weiße Möwe, Frieden, zitternder Horizont, zitternde Erwartung, erster Blick, Ahnung, Hoffnung, Schwellendes, Kommendes: Frieden.
    Ich schrecke auf und blicke mich um; dahinten liegen nun meine Kameraden auf den Tragbahren und rufen immer noch. Es ist Frieden, und sie müssen trotzdem sterben. Ich aber bebe vor Freude und schäme mich nicht. Sonderbar ist das. –
    Vielleicht ist nur deshalb immer wieder Krieg, weil der eine nie ganz empfinden kann, was der andere leidet.
II
    Nachmittags sitzen wir auf dem Hof einer Brauerei. Unser Kompanieführer, der Oberleutnant Heel, kommt
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