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Der Weg zurück

Der Weg zurück

Titel: Der Weg zurück
Autoren: E.M. Remarque
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uns«, sagt Ludwig.
    »Ja – Brandt, Müller, Kat, Haie, Bäumer, Bertinck –«
    »Sandkuhl, Meinders, die beiden Terbrüggen, Hugo, Bernhard …«
    »Mensch, hör auf …«
    Viele liegen da von uns, aber bislang haben wir es nicht so empfunden. Wir sind ja zusammengeblieben, sie in den Gräbern, wir in den Gräben, nur durch ein paar Handvoll Erde getrennt. Sie waren uns nur etwas voraus, denn täglich wurden wir weniger und sie mehr – und oft wussten wir nicht, ob wir schon zu ihnen gehörten oder nicht. Aber manchmal brachten die Granaten auch sie wieder herauf zu uns, hochgeschleuderte zerfallende Knochen, Uniformreste, verweste, nasse, schon erdige Köpfe, die im Trommelfeuer noch einmal aus ihren verschütteten Unterständen in die Schlacht zurückkehrten. Wir empfanden es nicht als schrecklich; wir waren ihnen zu nahe. Aber jetzt gehen wir ins Leben zurück, und sie müssen hierbleiben.
    Ludwig, dessen Vater in diesem Abschnitt gefallen ist, schnäuzt sich durch die Hand und dreht sich um. Langsam folgen wir. Aber wir halten noch einige Male und sehen uns um. Und stehen wieder still und spüren plötzlich, dass das da vorn, diese Hölle des Grauens, diese zerfetzte Ecke Trichterland, uns in der Brust sitzt, dass es – verflucht, wenn es nicht so ein Quatsch und uns nicht zum Brechen wäre –, dass es beinahe aussieht, als wäre es uns vertraut geworden wie eine qualvolle, furchtbare Heimat, und wir gehören einfach hierher.
    Wir schütteln die Köpfe darüber – aber sind es die verlorenen Jahre, die dort bleiben, sind es die Kameraden, die da liegen, ist es all das Elend, das diese Erde deckt –, ein Jammer sitzt uns in den Knochen, dass wir losheulen könnten.
    Dann marschieren wir.

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Erster Teil
    Die Straßen gehen lang durch die Landschaft, die Dörfer liegen in grauem Licht, die Bäume rauschen, und die Blätter fallen, fallen.
    über die Straßen aber ziehen Schritt um Schritt, in ihren fahlen, schmutzigen Uniformen, die grauen Kolonnen. Die stoppeligen Gesichter unter den Stahlhelmen sind schmal und ausgehöhlt von Hunger und Not, ausgemergelt und zusammengeschmolzen zu den Linien, die Grauen, Tapferkeit und Tod zeichnen. Schweigsam ziehen sie dahin, wie sie schon so viele Straßen entlangmarschiert, in so vielen Güterwaggons gesessen, in so vielen Unterständen gehockt, in so vielen Trichtern gelegen haben, ohne viele Worte: so ziehen sie jetzt auch diese Straße in die Heimat und den Frieden. Ohne viele Worte.
    Alte Leute mit Bärten und schmale, noch nicht zwanzigjährige, Kameraden ohne Unterschied. Neben ihnen ihre Leutnants, halbe Kinder, aber Führer in vielen Nächten und Angriffen. Und hinter ihnen das Heer der Toten. So ziehen sie vorwärts, Schritt um Schritt, krank, halb verhungert, ohne Munition, in dünnen Kompanien, mit Augen, die es immer noch nicht begreifen können: Entronnene der Unterwelt – den Weg zurück ins Leben.
I
    Die Kompanie marschiert langsam, denn wir sind müde und haben noch Verwundete bei uns. Dadurch bleibt unsere Gruppe allmählich zurück. Die Gegend ist hügelig, und wenn die Straße ansteigt, können wir von der Höhe aus nach der einen Seite den Rest unserer abziehenden Truppen und nach der anderen die dichten, endlosen Linien sehen, die uns folgen. Es sind Amerikaner. Wie ein breiter Fluss schieben sich ihre Kolonnen zwischen den Baumreihen vorwärts, und das unruhige Glitzern der Waffen läuft über sie hin. Ringsum aber liegen die stillen Felder, und die Wipfel der Bäume ragen ernst und unbeteiligt mit ihren herbstlichen Farben aus der vordringenden Flut.
    Wir sind die Nacht über in einem kleinen Dorf geblieben. Hinter den Häusern, in denen wir gelegen haben, fließt ein Bach, der mit Weiden bestanden ist. Ein schmaler Pfad führt daran entlang. Einzeln hintereinander, in langer Reihe, folgen wir ihm. Kosole ist der Vorderste. Neben ihm läuft Wolf, der Kompaniehund, und schnuppert an seinem Brotbeutel.
    Plötzlich, an der Kreuzung, wo der Pfad in den Hauptweg mündet, springt Ferdinand zurück.
    »Achtung!«
    Im nächsten Moment haben wir die Gewehre hoch und spritzen auseinander. Kosole liegt fertig zum Feuern im Chausseegraben, Jupp und Troßke ducken sich spähend hinter einer Holunderhecke, Willy Homeyer reißt an seinem Koppel mit Handgranaten, und selbst unsere Verwundeten sind kampfbereit.
    Die Landstraße entlang kommen Amerikaner. Sie lachen und schwatzen miteinander. Es ist die Spitzengruppe, die uns eingeholt hat.
    Adolf Bethke
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