Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Weg zurück

Der Weg zurück

Titel: Der Weg zurück
Autoren: E.M. Remarque
Vom Netzwerk:
Damit zeige ich rückwärts, wo jemand vor einem zerschossenen Unterstand liegt, mit zwei Mänteln zugedeckt.
    »Ach, verflucht! Aber das werdet ihr doch nicht machen?«, meint Jupp.
    »Weiß ich nicht. Werden wir wohl müssen«, antworte ich und werde wütend, ohne zu wissen warum.
    Unter den Mänteln regt es sich. Ein blasses, schmales Gesicht hebt sich hoch und stöhnt leise. Dort liegt mein Mitschüler, der Leutnant Ludwig Breyer, unser Zugführer. Seit Wochen hat er blutigen Durchfall, es ist zweifellos Ruhr, aber er will nicht zurück ins Lazarett. Er will lieber hier bei uns bleiben, denn wir warten alle darauf, dass es Frieden gibt, und dann können wir ihn gleich mitnehmen. Die Lazarette sind übervoll, niemand kümmert sich da recht um einen, und wenn man erst auf so einem Bett liegt, ist man gleich schon ein Stück mehr tot. Rundum krepieren die Leute, das steckt an, wenn man allein dazwischen ist, und ehe man sich’s versieht, ist man dabei. Max Weil, unser Sanitäter, hat Breyer eine Art flüssigen Gips besorgt, den frisst er, damit die Därme auszementiert werden und wieder Halt kriegen. Trotzdem lässt er den Tag so zwanzig-, dreißigmal die Hosen herunter.
    Auch jetzt muss er wieder nebenan. Ich helfe ihm um die Ecke, und er hockt sich nieder.
    Jupp winkt mir: »Hörst du, da ist es wieder!«
    »Was denn?«
    »Die Granaten von vorhin.«
    Kosole rührt sich und gähnt. Dann erhebt er sich, sieht seine schwere Faust bedeutungsvoll an, schielt nach Jupp und erklärt: »Mann, wenn du uns jetzt aber wieder Fiole vorgemacht hast, kannst du deine Knochen im Rübensack nach Hause schicken.«
    Wir lauschen. Das Zischen und Pfeifen der unsichtbaren Granatbögen wird unterbrochen durch einen sonderbaren, heiseren, lang gezogenen Laut, der so seltsam und neu ist, dass mir die Haut schauert.
    »Gasgranaten!«, ruft Willy Homeyer und springt auf.
    Wir sind alle wach und horchen angespannt.
    Weßling zeigt in die Luft. »Da sind sie! Wilde Gänse!«
    Vor dem trüben Grau der Wolken zieht dunkler ein Strich, ein Keil. Die Spitze steuert den Mond an, jetzt durchschneidet sie seine rote Scheibe, deutlich sind die schwarzen Schatten zu sehen, ein Winkel von vielen Flügeln, ein Zug mit quarrenden, fremden, wilden Rufen, der sich in der Ferne verliert.
    »Da gehen sie hin«, knurrt Willy. »Verflucht, wer auch so abhauen könnte! Zwei Flügel, und dann weg!«
    Heinrich Weßling sieht hinter den Gänsen her. »Jetzt wird’s Winter«, sagt er langsam. Er ist Bauer, er weiß so was.
    Ludwig Breyer lehnt schwach und traurig an der Böschung und murmelt: »Das erste Mal, dass ich welche sehe.«
    Aber am muntersten ist mit einem Schlage Kosole geworden. Er lässt sich die Sache rasch noch einmal von Weßling erklären und fragt vor allem, ob wilde Gänse so groß wie Mastgänse wären.
    »Ungefähr«, sagt Weßling.
    »Meine Fresse noch mal«, Kosole zittern die Kinnbacken vor Aufregung, »dann fliegen da ja jetzt so fuffzehn, zwanzig tadellose Braten durch die Luft!«
    Wieder rauscht es von Flügeln dicht über uns, wieder stößt uns der raue, kehlige Ruf wie ein Habicht in die Schädel, und das Klatschen der Schwingen vereinigt sich mit den ziehenden Schreien und den Stößen des stärker werdenden Windes zu einem heftigen, jähen Begriff von Freiheit und Leben.
    Ein Schuss knallt. Kosole setzt die Knarre ab und späht eifrig zum Himmel. Er hat mitten in den Keil hineingehalten. Neben ihm steht Tjaden, bereit, wie ein Jagdhund loszurasen, wenn eine Gans fällt. Aber der Schwarm fliegt geschlossen weiter.
    »Schade«, sagt Adolf Bethke, »das wäre der erste vernünftige Schuss in diesem Lausekrieg gewesen.«
    Kosole schmeißt enttäuscht das Gewehr weg. »Wenn man doch ein paar Schrotpatronen hätte!« Er versinkt in Schwermut und Fantasien, was dann alles getan werden könnte. Unwillkürlich kaut er.
    »Jawohl«, sagt Jupp, der ihn beobachtet hat, »mit Apfelmus und Bratkartoffeln, was?«
    Kosole sieht ihn giftig an. »Halt die Schnauze, Schreiberseele!«
    »Du hättest Flieger werden sollen«, grinst Jupp, »dann könntest du sie jetzt mit einem Netz fangen.«
    »Arschloch!«, antwortet Kosole abschließend und haut sich wieder zum Schlafen hin. Es ist auch das Beste. Der Regen wird stärker. Wir setzen uns mit den Rücken gegeneinander und hängen uns die Zeltbahnen über. Wie dunkle Haufen Erde hocken wir in unserem Grabenstück. Erde, Uniform und etwas Leben darunter.
    Ein scharfes Flüstern weckt mich. »Vorwärts
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher