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Rosen für Apoll

Rosen für Apoll

Titel: Rosen für Apoll
Autoren: Joachim Fernau
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Die Sonne, die über dem Ägäischen Meer aufgeht und die Radioantennen auf den Dächern von Athen in Morgenrot taucht — das ist die berühmte Sonne Homers, von der Schiller sagt: »Siehe, sie lächelt auch uns!« Uns — das sind wir. Die abendländischen Nachfahren. Das trostlose 20. Jahrhundert.
    Zum Glück liegt Hellas in Schutt und Asche, und kein Alkibiades kann den bornierten Wanderern mehr auf dem Töpfermarkt begegnen und sie verwirren. Hier hat das Schicksal ein Meisterwerk christlicher Nächstenliebe geliefert: mehr als Ruinen hätten wir nicht ertragen. Die bösen Buben, die Griechen, hätten uns noch im Schlaf verfolgt und um unseren Himmel gebracht.
    Mit Ruinen tut sich’s leichter. Ruinen stehen da (sofern nicht Lord Elgin sie gestohlen hat), sind ernst und schweigen. So treten wir dann ziemlich ruhig vor das Angesicht Apolls und legen ihm unser Abiturientenzeugnis als Eintrittskarte zu Füßen. Oh, wir wissen, was sich gehört, wir wissen, wie man mit Apoll spricht; wir werfen oben feierlich Zahlen und Daten hinein und erwarten unten den Schlüssel zu Hellas.
    Er aber will Rosen, Rosen, meine Freunde, Rosen! Vergeßt die Rosen nicht, wenn ihr den Fuß in eine Zeit setzt, in der die Götter noch verliebt waren und lächeln durften!
    Was für ein Gedanke, unter einem Allmächtigen zu leben, von dem man weiß, daß er lachen und singen kann!
    Das ist ein wunderbarer, ein herrlich schöner Gedanke; mit keinem Himmelreich zu hoch bezahlt.
    Wer waren sie, die das zum erstenmal zu denken wagten?
    Wer waren die bösen Buben, die himmlischen Sünder, die gigantischen Kinder, die vor 3 000 Jahren auf dem Meer der irdischen Freuden die schwarze Piratenflagge hißten...

    *

    Die Vorzeit Griechenlands ist, wie die ältesten Epochen aller Völker, in Dunkel gehüllt. Man muß weit zurückgehen, um an die Grenze der Dämmerung zu kommen. 2200 vor Christus, als wir selbst noch unter germanischen Eichen in tiefem Schlaf lagen, hatte Hellas seinen Vorfrühling, seine erste Blüte bereits in Kreta.
    Kreta war die Μαχάρων νήδος Makarohn nehsos), die »Insel der wunschlos Glücklichen«. Über dem Land scheint ein langer, langer Friede gelegen zu haben. Lang, das ist etwa von Barbarossa bis heute; vielleicht gelingt es Ihnen, sich das vorzustellen. Jene Menschen scheinen wirklich die sagenhaften »glücklichen Enkel« gewesen zu sein, die immer von Kriegsministern zitiert werden und die man komischerweise nie zu sehen bekommt.
    In Städten wie Knossos und Phaistos lebten 50 000 und 60 000 Menschen; ein Gewirr, ein wogendes Auf und Ab von Dächern um die Fürstenpaläste, dicht an dicht, ohne Distanz, so wie es die Erscheinung jener Spätzeit ist, ein Wirrwarr von Häusern und Gassen, ein Gewimmel von Menschen und Verkehr, sorglos vor jedem Zugriff.
    Forscher haben Knossos ausgegraben: In unerhörter Pracht muß sich einst der Palast am Hang des Hügels erhoben haben, ein riesenhafter Tadsch Mahal, ein Traum aus Marmor, Gold und Alabaster, ein sonnendurchflutetes Labyrinth von Hallen, Sälen, Zimmern und Lichtschächten, voll von Fresken, Plastiken, filigranen Möbeln, Fayencen, Bronzen, Gefäßen aus Ton, Schalen und Tassen von der Zerbrechlichkeit chinesischen Porzellans; voll von kostbarem Schmuck und Stoffen, Parfüms und Badewässern in den Boudoirs, und in den Speichern und Kellern voll von tönernen Getreidefässern und bauchigen, zwei Meter hohen öl- und Weinkrügen. Nirgends »Kanonen«.
    Eine Rokoko-Welt. Eine Welt der offenen Türen und Fenster. Die Frau war das Maß der Dinge. Reifröcke rauschten durch die Säle, hohe Stöckelschuhe klapperten über die Marmortreppen. (Die Männer trugen eine Art Badehose, jahraus, jahrein. Auch die Direktoren.) Das lackschwarze Haar der Frauen war kunstvoll geflochten und mit Perlen und Steinen geschmückt; die Zöpfe fielen bis zu der mädchenhaft engen Taille herab. Ein kleines Bolerojäckchen lag auf den Schultern, ein Jäckchen, das sich von den heutigen durch die Kleinigkeit unterschied, daß es kein Vorderteil hatte. Mit dem Charme von Najaden, die nichts anderes kennen, trugen sie die Brüste nackt — wenn die Malereien die Wahrheit sagen: groß, voll und samten. Und auf allen Bildern haben die Gesichter in den Mundwinkeln ein Lächeln; das berühmt gewordene »archaische Lächeln«. Ich möchte es das Lächeln des Qualitätsbewußtseins und des guten Appetits nennen. Fast glaube ich, daß auch die aus den schmutzigen Gassen, die schwitzend und
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