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Der Weg zurück

Der Weg zurück

Titel: Der Weg zurück
Autoren: E.M. Remarque
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so was –«
    »Du kommst ja gleich rein ins Lazarett, Heinrich«, tröstet Bethke ihn.
    Er wehrt ab. »Lasst man.«
    Von da ab sagt er nicht mehr viel. Er will auch nicht hineingetragen werden, sondern draußen bleiben. Das Lazarett liegt an einem kleinen Hang. Die Allee, durch die wir gekommen sind, kann man von hier aus weithin sehen. Sie ist bunt und golden. Die Erde liegt still und weich und geborgen da, sogar Äcker sind zu sehen, kleine, braune, aufgegrabene Stücke, dicht beim Lazarett. Wenn der Wind den Blut- und Eiterbrodem wegfegt, kann man den herben Geruch der Schollen riechen. Die Ferne ist blau und alles sehr friedlich; denn der Blick von hier geht nicht zur Front. Die Front liegt rechts.
    Weßling ist still. Er betrachtet alles ganz genau. Die Augen sind aufmerksam und klar. Er ist Bauer und versteht sich mit der Landschaft noch besser und anders als wir. Er weiß, dass er jetzt weg muss. Deshalb will er nichts versäumen und wendet keinen Blick mehr ab. Von Minute zu Minute wird er blasser. Endlich macht er eine Bewegung und flüstert: »Ernst …«
    Ich beuge mich zu seinem Munde herunter. »Nimm meine Sachen heraus«, sagt er.
    »Das hat doch noch Zeit, Heinrich …«
    »Nein, nein. Los.«
    Ich lege sie vor ihn hin. Die Brieftasche aus abgeschabtem Kaliko, das Messer, die Uhr, das Geld – man kennt das ja allmählich. Lose in der Brieftasche liegt das Bild seiner Frau.
    »Zeig her«, sagt er.
    Ich nehme es heraus und halte es so, dass er es sehen kann. Es ist ein klares, bräunliches Gesicht. Er betrachtet es. Nach einer Weile flüstert er: »Das ist dann alles weg«, und die Lippen zittern ihm. Endlich wendet er den Kopf ab.
    »Nimm’s mit«, sagt er. Ich weiß nicht, was er meint, aber ich will nicht noch lange fragen und stecke es deshalb in die Tasche. »Das bring ihr …«, er sieht mich mit einem sonderbaren, großen Blick an, murmelt, schüttelt den Kopf und stöhnt. Ich versuche krampfhaft, noch etwas zu verstehen, doch er gurgelt nur noch, reckt sich, atmet schwerer und langsamer, mit Pausen, stockend – dann noch einmal ganz tief und seufzend – und hat plötzlich Augen, als sei er erblindet, und ist tot.
    Am nächsten Morgen liegen wir zum letzten Male vorn. Es wird kaum noch geschossen. Der Krieg ist zu Ende. In einer Stunde sollen wir abziehen. Wir brauchen nun nie wieder hierher zu kommen. Wenn wir gehen, gehen wir für immer.
    Wir zerstören, was zu zerstören ist. Wenig genug. Ein paar Unterstände. Dann kommt der Befehl zum Rückzug.
    Es ist ein sonderbarer Moment. Wir stehen beieinander und sehen nach vorn. Leichte Nebelschwaden liegen über dem Boden. Die Trichterlinien und Gräben sind deutlich erkennbar. Es sind zwar nur noch die letzten Linien, denn dieses hier gehört zur Reservestellung, aber es ist doch immer noch Feuerbereich. Wie oft sind wir durch diesen Laufgraben vorgegangen; wie oft mit wenigen durch ihn zurückgekommen. – Grau liegt die eintönige Landschaft vor uns – in der Ferne der Rest des Wäldchens, ein paar Stümpfe, die Ruinen des Dorfes, dazwischen eine hohe einsame Mauer, die sich immer noch gehalten hat.
    »Ja«, sagt Bethke nachdenklich, »da hat man nun vier Jahre dringesessen …«
    »Verdammt ja«, nickt Kosole. »Und nun ist einfach Schluss.«
    »Mensch, Mensch«, Willy Homeyer lehnt sich gegen die Brustwehr. »Komisch so was, nicht …«
    Wir stehen und starren. Die Ferne, der Waldrest, die Höhen, die Linien am Horizont drüben, das war eine furchtbare Welt und ein schweres Leben. Und jetzt bleibt das ohne Weiteres zurück, wenn wir die Füße vorwärts setzen, es versinkt Schritt für Schritt hinter uns, und in einer Stunde ist es weg, als wäre es nie gewesen. Wer kann das begreifen!
    Da stehen wir und sollten lachen und brüllen vor Vergnügen – und haben doch ein flaues Gefühl im Magen, als hätte man einen Besen gefressen und müsste das Kotzen kriegen.
    Keiner sagt recht was. Ludwig Breyer lehnt müde am Grabenrand und hebt die Hand, als stände gegenüber ein Mensch, dem er winken wollte.
    Heel erscheint. »Könnt euch wohl nicht trennen, was? Ja, jetzt kommt der Dreck.«
    Ledderhose sieht ihn verwundert an. »Jetzt kommt doch der Frieden.«
    »Ja, eben der Dreck«, sagt Heel und geht weiter mit einem Gesicht, als sei seine Mutter gestorben.
    »Dem fehlt der Pour le mérite«, erklärt Ledderhose.
    »Ach, halt’s Maul«, sagt Albert Troßke.
    »Na, nun los«, meint Bethke, bleibt aber auch noch stehen.
    »Liegt mancher da von
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