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Der Staubozean

Titel: Der Staubozean
Autoren: Bruce Sterling
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1
    Ein verhängnisvolles Ereignis
    und die Abhilfe
     
    W IR ALLE HABEN IN UNSEREM L EBEN eine Leere, eine Leere, die einige durch die Künste füllen, andere durch Gott und wieder andere durch Lernen. Ich habe diese Leere immer durch Drogen gefüllt. Und aus diesem Grund fand ich mich, den Seesack in der Hand, dazu bereit, auf dem obskuren Planeten Nullaqua auf eine Walfangfahrt zu gehen.
    Der nullaquanische Staubwal ist die einzige Quelle des Rauschmittels Syncophin. Zum Zeitpunkt meiner Seereise wurde das Wissen um diese Tatsache immer weiter verbreitet. Weil ich es erfahren hatte, wohnte ich, John Newhouse, mit neun anderen in der Piety Street 488 in Hochinsel, Nullaquas größter Stadt.
    Wir, die Bewohner, kannten das zweistöckige Metallgebäude nur als Das Neue Haus. Wir waren eine bunt zusammengewürfelte Gruppe; die einzigen Dinge, die wir gemeinsam hatten, waren unsere außernullaquanische Herkunft und unser kennerhaftes Vergnügen am Flackern, wie die Eingeweihten das Syncophin nannten. Wir waren samt und sonders menschliche Geschöpfe oder sehr genaue Faksimile. Der erste unter uns war der weißhaarige alte Timon Hadji-Ali. Timon hat uns sein Alter nie verraten, aber er befand sich ganz offensichtlich in der Periode, in welcher der unterbewußte Wunsch des Körpers zu sterben die Sehnsucht des Ego nach dem Leben zu überwiegen beginnt. Oft höre ich ihn von seiner Jahrhunderte zurückliegenden Freundschaft mit Ericald Svobold, dem legendären Entdecker des Syncophin, sprechen. Jetzt hatte sich allerdings Pessimismus im alten Timon breitgemacht; seit Jahren hatte er sich jeder Verfügung widersetzt. Er wollte seine alten Tage nur noch damit verbringen, sein nach und nach angehäuftes Kapital aufzuzehren und den wilden Himmelstrip des Flackerns zu genießen. In Angelegenheiten der Politik, die unsere kleine Gruppe betrafen, pflegten wir uns ihm zu unterwerfen, da er immer noch das meiste Geld hatte.
    Die zweite war Agathina Brant, eine hochgewachsene muskulöse Frau, stocksteif, als hätte sie einen Besenstiel verschluckt. Offenkundig war sie ein pensionierter Offizier, und sie war ausgesprochen kurz angebunden, sogar mürrisch. Sie trug stets eine Uniform, sauber, aber alt. Man konnte wirklich nicht bestimmen, welche der zahllosen Armeen der Menschheit das Kleidungsstück zuzuordnen war. Sie hat es uns nie verraten; ich vermute, sie hat es selbst genäht. Ihre Sucht war extrem ausgeprägt.
    Als dritte und vierte ein verheiratetes Paar, Mr. und Mrs. Undine. Ihr Mädchenname war Stuart, er hieß Foster. Auch sie waren ziemlich alt. Man konnte ihr Alter an ihrer unnatürlichen Anmut und den gelegentlichen archaischen Redewendungen in ihrer Sprache erkennen. Sie waren ein ansehnliches Paar, wenn man ihre tonnenförmige Brustkörbe und die reichlich geschmacklosen, in ihre Körper eingepflanzten Edelsteine außer Betracht ließ. Sie wurden niemals müde, uns zu erzählen, daß sie beide bereits mehrere Ehen hinter sich hatten und die Vorstellung des Schmerzes, der mit der Auflösung der letzten verbunden war, nicht aushalten konnten. Sie hatten sich dazu entschieden, gemeinsam Selbstmord zu begehen, am liebsten durch eine Überdosis. Ich war viele Male versucht, ihnen zu raten, ein anderes Gift als Syncophin zu benutzen, aber das, dachte ich, wäre möglicherweise ein flegelhafter Einbruch in ihre Privatsphäre gewesen.
    Der fünfte in unserer Gesellschaft war ein Dichter namens Simon. Er hatte durch kosmetische Chirurgie eine Art verhärmter Ansehnlichkeit erlangt, wenn auch seine Augen von unterschiedlicher Farbe waren. Im Bemühen, »zu den Wurzeln zurückzukehren«, wie er uns sagte, hatte er ein primitives Saiteninstrument gekauft und versuchte, sich selbst beizubringen, darauf zu spielen, um sich selbst begleiten zu können, während er seine eigenen Werke sang. Wir hatten sein Zimmer im Obergeschoß schalldicht gemacht. Syncophin, sagte er, »stimuliert mein Gehirn«. Das konnte gewiß nicht geleugnet werden.
    Simon wurde von einer mausgrauen Frau namens Amelia begleitet, die ihr brünettes Haar streng in der Mitte gescheitelt trug. Ihr Vater war ein Gelehrter und schickte ihr ausreichend Geld für ihren eigenen Lebensunterhalt und den ihres pseudomusikalischen Begleiters. Sie hatte schon Monate bei uns gewohnt, bevor sie Syncophin probierte. Jetzt war sie dabei, Geschmack daran zu entwickeln.
    Unsere Numero sieben war ein Geschlechtsloser, Daylight Mulligan. Es war ein charmanter Gesprächspartner, und
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