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Der Staubozean

Titel: Der Staubozean
Autoren: Bruce Sterling
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ließ Meggle, den Kajütenjungen, die Töpfe säubern, während ich die Gewürze untersuchte. Eins hatte einen scharfen metallischen Geschmack, der an rostiges Eisen erinnerte; das zweite besaß entfernte Ähnlichkeit mit Meerrettich; ein drittes entsprach unserem Senf, hatte aber einen bitteren Nachgeschmack. Das vierte war Salz. Was das fünfte war, habe ich nie herausgefunden. Ein einziger Hauch überzeugte mich, daß es verdorben war.
    Ich zog eine Kiste Schiffszwieback aus dem Vorratsraum nebenan und schaffte es, ihn schmackhaft zu machen. Es war eine heldenhafte Aufgabe, aber ich wurde durch die ungeteilte Aufmerksamkeit belohnt, die die Walfänger ihrem Essen zollten. Ohne ihre Masken sahen sie alle gleich aus. Bis auf gelegentliche Rülpser schwiegen sie so verbissen, daß ich mich fragte, ob sie eine Meuterei planten.
    Sie schienen ein mürrischer Haufen zu sein. Alle trugen khakibraune oder blaue Schlodderhosen und Kordhemden. Ihre Arme waren gebräunt, ihre Gesichter blaß mit schwachen Kerben an den Seiten, wo die Staubmasken anlagen. Sechs der Männer hatten sich von den Schläfen über den Kopf einen schmalen Streifen ausrasiert, um einen dichteren Sitz zu erreichen. Die Crew war bis zum letzten Mann mit Symbolhalsbändern geschmückt, dünnen Metallketten, an denen eines oder mehr Symbole der Teile Gottes klimperten; denn nach dem merkwürdigen nullaquanischen Glauben war das Höchste, was ein Mensch erwarten konnte, die Aufmerksamkeit eines geringen Bruchteils der Gottheit. Wachstum, Glück, Liebe, Einfluß - alle normalen Seemannssymbole waren vertreten, einige auch auf Ringen und Armreifen. Die Schmuckstücke selbst wurden nicht als magisch getrachtet, sondern dienten nur als ein Brennpunkt für Gebete. Obwohl ich nicht religiös war, besaß ich selbst einen Platin-Schöpfungsring - ein Künstlersymbol.
    Die Männer aßen mechanisch, die Gesichter leidenschaftslos, als wären sie es nicht gewohnt, Gefühle auszudrücken oder als wären die blassen Gesichter nur eine weitere Maske, wie von unsichtbaren Bändern gehalten.
    Sie aßen an einem langen, kunststoffbeschichteten Tisch, der mit dem Deck verschraubt war. Am Ende des Zelts stand ein zweiter Tisch wie der Querbalken eines T. Auf ihm stand das Essen. Zwischen den beiden Tischen war gerade genug Platz für die Männer, ihre Plastikteller zu nehmen und sich selbst zu bedienen.
    Calothrick, des monotonen Mahlens der Kiefer müde, versuchte mit dem ergrauten Veteranen neben sich ein Gespräch anzufangen. »Schönes Wetter heute«, sagte er.
    Alle Männer hörten zu essen auf. Die Gabel in der Hand starrten sie auf den unglückseligen Calothrick, wobei sie ihm das gleiche klinische Interesse widmeten, das ein Arzt vielleicht für einen Furunkel aufbringt. Schließlich, als sie aus seinem verlegenen Schweigen folgerten, daß er nichts mehr zu sagen hatte, aßen sie weiter.
    Es war ohnehin eine unglückliche Gesprächseröffnung gewesen. In Nullaqua gab es kein Wetter. Nur Klima.
    Meine erste Begegnung mit der fremdartigen Frau, Dalusa, hatte ich bei der letzten Mahlzeit des Tages. Die Sonne war schon hinter dem Westrand des Nullaqua-Kraters gesunken, und der Abend wurde durch den staubgefilterten rosigen Schimmer erhellt, der von den Klippen vierhundert Meilen östlich reflektiert wurde. Ich arbeitete in der Küche, als sie durch die Luke kam.
    Dalusa war gut einen Meter fünfzig groß. Schwarze, pelzbedeckte Fledermausschwingen an knöchernen Streben verlängerter Mittelhandknochen und Fingerglieder, legten sich um ihren Körper. Sie hatte an jeder Hand zehn Finger; fünf trugen die Schwingen, die übrigen waren frei und ähnelten bis hin zu dem roten Lack auf den Fingernägeln einer menschlichen Hand. Ihre Arme waren von ungewöhnlicher Länge; sie hätte bis zu ihren Knien hinabgereicht, hätte sie sie nicht gewohnheitsmäßig in den Ellbogen gebeugt und die Hände vor der Brust verschränkt.
    Ich spürte momentane Überraschung und war nicht in der Lage zu sagen, ob sie eine Fledermaus war, die zu einer Frau umgewandelt worden war, oder eine Frau, die eine Fledermaus zu sein versuchte.
    Dalusas Gesicht war von einer verfeinerten gemeißelten Schönheit, die nur von einer chirurgischen Veränderung stammen konnte. Ein Künstler hatte das Skalpell geführt.
    Sie trug ein lockeres, extrem leichtes weißes Gewand, eigentlich nur eine Art milchig-trüber Schleier, der von ihren muskulösen Schultern bis auf die Knie hinunterhing. Ihre Beine stimmten
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