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Der Staubozean

Titel: Der Staubozean
Autoren: Bruce Sterling
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daran und warf ihn über Bord. Dann zog er sich in seine Kabine zurück und verlangte sein Frühstück. Eilends gehorchte ich. Er aß, schickte seine Maate hinaus und rief mich dann in seine Kabine.
    Desperandums Kajüte war spartanisch ausgestattet; eine maßgefertigte Koje, einen Meter achtzig lang und einen Meter fünfzig breit; ein wuchtiger Drehstuhl aus Metall und ein Arbeitstisch, der von der Wand heruntergeklappt wurde. Kartenausschnitte von Nullaqua, handgezeichnet auf billigem, schnell gilbendem Diagrammpapier, waren mit Heftwachs an den Wänden befestigt. In der verglasten Vitrine zu meiner Rechten befanden sich Glaszylinder mit verschiedenen präparierten Proben nullaquanischer Fauna. Der ausgestopfte Kopf eines großen fleischfressenden Fischs war auf einer an die Heckwand geschraubten Metallplatte angebracht. Seine Kiefer klafften weit auf und enthüllten verfärbte, sägeblattartige Zähne. Darunter waren dicke Glasfenster, die einen Ausblick auf das unbewegliche graue Staubmeer erlaubten. Der Westrand des Kraters erhob sich am Horizont; er leuchtete im Sonnenlicht wie eine riesige Mondsichel.
    »Newhouse«, sagte der Kapitän, während er sich mit einem Ächzen in den Drehstuhl setzte. »Sie kommen von der Erde. Sie wissen, was Wissenschaft ist.« Desperandum sprach leise und krächzend.
    »Ja, Sir«, sagte ich, »und ich habe größten Respekt vor der Akademie.«
    »Die Akademie.« Desperandums Widerwille war unverkennbar. »Sie irren, Newhouse, und Sie irren beträchtlich, wenn Sie wirkliche Wissenschaft mit diesem total altersschwachen Narrenhaufen in Verbindung bringen. Was kann man von Männern erwarten, die dreihundert Jahre aufbringen müssen, nur um den Doktortitel zu erlangen?«
    »Ja, Sir«, sagte ich und stellte ihn auf die Probe. »Alte Leute neigen in der Tag manchmal dazu, sich zu verrennen.«
    »Genau!« sagte er. Desperandum war scharfsinniger, als er aussah. »Ich bin Wissenschaftler«, sagte er. »Ohne Doktortitel, vielleicht, ein falscher Name, möglicherweise, aber das ist alles nur Firlefanz. Ich bin hier, um etwas herauszufinden, und wenn ich etwas herausfinden will, dann räume ich jedes Hindernis aus dem Weg. Ist Ihnen klar, wie wenig wirklich über diesen Planeten bekannt ist? Oder über diesen Ozean?«
    »Die Menschen leben seit fünfhundert Jahren hier, Käpt'n.«
    »Fünfhundert Jahre voller Einfaltspinsel, Newhouse. Reden wir von Mann zu Mann.« Mit seiner fleischigen, von blonden Haaren bewachsenen Hand wies er auf eine Metallbank neben der Tür. Ich setzte mich. »Alle wesentlichen Fragen über Nullaqua sind immer noch unbeantwortet. Die ersten Erkundungstrupps - mit Unterstützung der Akademie, wohlgemerkt - nahmen ein paar Proben, erklärten den Ort für bewohnbar, und zogen wieder ab. Beantworten Sie mir diese Frage, Newhouse: Warum enthält alles, was hier lebt, Wasser in seinem Gewebe, obwohl es nie regnet?«
    Ich rief mir die Bücher ins Gedächtnis, die ich gelesen hatte, bevor ich nach Nullaqua gekommen war. »Nun ja, ich habe gehört … man sagt, es gebe eine Art schlammigen Untergrund tief unter der Oberfläche … irgend etwas über wasserhaltige Pilze, die zur Vermehrung an die Oberfläche treiben. Sie platzen auf, und das Plankton absorbiert das Wasser.«
    »Keine schlechte Theorie«, sagte Desperandum abwägend. »Ich will der erste sein, der sie beweist. Damit wir uns richtig verstehen, ich habe nichts dagegen zu verdienen. Sie kriegen Ihren Anteil von einer erfolgreichen Fahrt wie jeder andere auch.«
    »Darum habe ich nie Angst gehabt, Käpt'n.«
    »Aber da sind viele kleine Fragen, die an meinem Verstand nagen. Was verursacht die Strömungen im Staub? Wie tief reicht er? Was lebt dort unten, welche Arten von Aasfresser gibt es? Wie finden sie ohne Sicht und ohne Echo-Orientierung ihre Nahrung? Wie atmen sie? Es ist die Undurchsichtigkeit des Meers, die mich rasend macht, Newhouse. Ich kann nicht hineinsehen.
    Und dann noch etwas. Wir wissen, daß dieser Ort unbewohnbar war, als die Alte Kultur hier war. Warum haben sie Vorposten auf der luftleeren Oberfläche errichtet?«
    »Ich weiß nicht«, sagte ich scherzend. »Vielleicht haben sie sich vor etwas gefürchtet?«
    »Ich fürchte mich nicht«, stellte Desperandum fest. »Aber wir müssen auch an die Besatzung denken. Die Leute können möglicherweise nicht verstehen, was ich tue; sie haben es nie verstanden. Sie sind den Leuten näher als ich; falls sie anfangen, unruhig zu werden, teilen Sie es mir
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