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Der Staubozean

Titel: Der Staubozean
Autoren: Bruce Sterling
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seine Sprache offenbarte einen tiefen Wissensfundus. Es und ich hätten enge Freunde werden können, hätte es nicht diese extreme Paranoia jedem gegenüber gehabt, der Fortpflanzungsorgane besaß. Es war natürlich sehr sauber geklont worden, und sein Mißtrauen war nicht ganz unbegründet, da es eine deutliche sexuelle Anziehungskraft auf Mitglieder beider Geschlechter ausübte. Es war oft melancholisch, vielleicht von Schuldbewußtsein geplagt. Der alte Timon erzählte mir einmal, daß es für den Doppelselbstmord eines Ehepaares verantwortlich war, Freunde von ihm, die beide mit ihm Ehebruch begehen - oder es zumindest versuchen - wollten. Das konnte stimmen … oder auch nicht.
    Die achte von uns war eine extrem große, fast totenbleiche Frau namens Quade Altman. Auf einem Planeten mit der halben Schwerkraft von Nullaqua, und damit auch der Erde, geboren, war sie an die zwei Meter fünfzig groß. Sie war immer blaß, ihre eingesunkenen Augen waren von zarten blauen und purpurnen Ringen umgeben. Häufig jammerte sie über benebelnde Reizungen. Sie verbrachte eine Menge Zeit in Rückenlage, an ihren dreidimensionalen Mosaiken arbeitend.
    Die neunte und vorletzte war meine derzeitige Freundin Millicent Farquhar. Millicent war klein, stupsnasig, rothaarig und eher pummelig als schlank. Ich hatte sie vor einem Jahr auf Reverie kennengelernt, kurz bevor ich nach Nullaqua ging. Nach einer ganz besonders heißen Party fand ich mich beim Aufwachen in ihrem Bett wieder. Man hatte uns zwar einander vorgestellt, aber wir hatten den Namen des anderen vergessen. Unsere gegenseitige Wiederentdeckung verlief ausgesprochen erfreulich, und wir hatten das letzte Jahr in ziemlicher Zufriedenheit miteinander verbracht.
    Zuletzt ich, John Newhouse. Es versteht sich von selbst, daß ich nicht dieselbe Person bin, die die Abenteuer erlebte, von denen zu berichten ich im Begriff bin. Die Persönlichkeit ist eine sich wandelnde, fließende Sache, und außer den jetzt allmählich trüber werdenden Erinnerungen habe ich nichts mit dem Mann gemein, der sich damals meines Namens bediente.
    Aber jener John Newhouse jedenfalls war der Sohn eines Holzmagnaten auf dem Planeten Bunyan und hatte die beste Ausbildung genossen, die dieser Planet zu bieten hatte. Aus politischen Gründen - und aus Gründen der Eitelkeit - behauptete ich, auf der Erde geboren zu sein. Wie die meisten Sektiererplaneten hatte Nullaqua übertriebenen Respekt vor allen Terranischen. Die Lüge half.
    Ich war einen Meter und achtzig groß und hatte sehr dunkles Haar, das am Hinterkopf ziemlich spärlich wurde, obwohl ich mich dagegen sträubte, dies zuzugeben. Ich trug es auf der linken Seite gescheitelt. Meine Augen waren ebenfalls dunkel, und das linke hatte einen kleinen gräulichen Fleck, fast wie grauer Star; an dieser Stelle hatte ich einmal, einem schlechten Ratschlag folgend, Syncophin aufgetropft. Durch die lange Zeit, die ich im Haus verbrachte, war ich blaß, aber meine Haut konnte eine tiefe Bräune annehmen. Meine Nase war vielleicht ein wenig zu hakenförmig, um als hübsch bezeichnet zu werden. Ich hatte - lassen Sie es mich gestehen - etwas von einem Dandy, und ich trug gerne Ringe, gewöhnlich fünf auf einmal. Ich besaß zwei Dutzend. Ich war fünfunddreißig - verzeihen Sie, lieber Leser, aber ich habe ja geschworen, bei der Wahrheit zu bleiben -, ich war dreiundvierzig Standardjahre alt.
    Den Namen meines Vaters will ich nicht preisgeben. Den Namen Newhouse nahm ich von meiner Bleibe an, wie es auf der Erde einst Brauch war. Vor meiner Walfängerfahrt verdiente ich meinen Lebensunterhalt damit, hochwertiges Syncophin an meine zahlreichen Freunde auf Reverie zu exportieren. War es auch nicht übermäßig gewinnträchtig, so war es doch ein angenehmer Zeitvertreib. Mein Hobby war, billigere und wirkungsvollere Methoden zu entwickeln, Syncophin aus Asisöl zu extrahieren.
    Es war ein gemütliches, beinahe genüßliches Dasein. Dann kam das Unheil.
    Die Expansion des Syncophinhandels war nicht unbemerkt geblieben. Die Bürokraten der Konföderation, jener lockeren und ständig schwächer werdenden Verbindung von Welten, erließen ein Dekret. Nullaqua hörte es und - so erstaunlich dies war - gehorchte.
    Wir erfuhren die Neuigkeiten zuerst von unserem Dealer, einem Nullaquaner namens Andaru. Andaru war ein ehemaliger Walfänger und versorgte uns mit dem Stoff, den er Gedärmeöl nannte, zu einem Kurs knapp über dem Normalpreis. Sonst gab es keine Nachfrage
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