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Der Utofant

Der Utofant

Titel: Der Utofant
Autoren: Johanna und Günter Braun
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ausnahmslos wohl. In Ruhestellung wird er von schwerer Übelkeit geplagt. Freizeit, die man ihm anbietet, vermehrt das Unwohlsein. Doktor Müller meint, S. L. könne auch in ihr Gegenteil umgeschlagene unterbewußte Arbeitsunlust sein.
    Selbsthilfe : Nur Bücher mit dem Thema Arbeit lesen, Arbeitskleidung auch im Bett, Armbanduhr mit elektronischem Arbeitsprogrammanzeiger für j ede Minute ständig tragen. Im Tele-Salon nur Arbeitsfilme sehen. Gespräche nur über das Thema Arbeit führen. Manchmal tritt bald der Übersättigungseffekt ein.

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    VOLUPTAS IMPERIO PARERE, VIP, Lust durch Befehlserfüllung. Von VIP Befallene scheinen ständig auf Suche nach Befehlserteilern, sie saugen vampirartig Befehle in sich ein, als seien diese ihr Lebenselixier. Im Gegensatz zum Nichterkrankten, der solche Stätten möglichst meidet, begeben sie sich freiwillig dorthin, wo Anordnungen und Befehle zu erwarten sind. Sie murmeln dabei häufig Worte, die Doktor Müller mit verstecktem Recorder aufgenommen hat. Bi tte um Weisung (meist gebrauchter Satz), ich ersuche um Richtlinien, gibt es nicht ein Verhaltensmuster? Ich wünsche Anleitung! Bitte um Mitteilung des neuesten zentralen Beschlusses. Wie läuft bitte heute der Kurs?
    Müller erkennt den VIP-Befallenen daran, daß er blindlings ergreift, was man ihm gibt, nicht kontrolliert, von welcher Qualität die Gabe ist, sie gierig aufschnappt, so daß gutfunktionierende Zentralen heute derartig Kranken Befehlsattrappen reichen können, die keinen Schaden anrichten, beim Kranken aber das Gefühl auslösen, Befehle zu erfüllen. Solche umsichtigen Zentralen halten stets einen Vorrat sogenannter NULL-Befehle zur Speisung der Befehlsbettler bereit. Manche Kranke verwechseln Hinweise, Tips, Bemerkungen, Bitten, Fragen mit Befehlen, behandeln sie als solche und saugen daraus Lust. Heute verlagern VIP-Erkrankte oft ihre Sucht auf automatische Strukturen, Computer, selbststeuernde Organisationssysteme, vor denen sie mit typischem Glanzauge und offenem Munde auf Befehle warten. Unwohlsein spüren sie, sobald die automatische Struktur verschiedene Möglichkeiten zur Auswahl bietet, sie zittern dann und fallen in einen Starrezustand. Gefährlich werden sie, wenn sie unsachkundig die automatische Struktur manipulieren, so daß unsinnige Befehle von ihr gegeben werden, die sie dann eiligst, bevor die Manipulation vom Kontrolleur entdeckt ist, zu erfüllen suchen. Sie schrecken dabei nicht vor Gewalt zurück. Während sie beim Erfüllen schwitzend, rötlich gefleckt, kurzatmig, flackeräugig in äußerster Motorik anzutreffen sind, erschlaffen sie, sobald die Durchführung geschehen ist. Sie blicken stumpf, kriechen in sich zusammen. Gewichtsverlust, gesenkter Blutdruck. Kritik wegen ungünstiger gemeingefährlicher Auswirkungen des selbstmanipulierten unsinnigen Befehls nehmen sie stoisch hin. M. schildert Fälle, wo auf Kritik an einem VIP-Kranken von diesem monoton die Bitte um neue Weisung abgespult wurde. Erfolgt die Weisung nicht sofort, zapft der Erkrankte in einem unbewachten Augenblick den nächstbesten Computer an. Jeder 5. stirbt heute an VIP. Kein Selbsthilfetip.

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    VERITAS MANCA, Fehlen von Wirklichkeit, eine optische Erkrankung, bei der sich vor dem Blick real Vorhandenes in Vorgestelltes und Erwünschtes wandelt. Ausfälle im Gesichtsfeld. Gesichtszaun. Gesichtssperre. Gesichtsmauer. Der Kranke sieht nur Dinge, die er zuvor »sortiert« hat. Optisch lebt er auf einem Territorium, das der realen Welt genau entgegensteht. Sind die Verhältnisse real unhaltbar, erscheinen sie dem Kranken herrlich wie nie zuvor. Notlagen werden zu Zeichen des Erfolgs erklärt, Angriffe friedfertige Handlungen genannt, wackelige Stühle bequeme Sitzgelegenheiten.
    Selbsthilfe : Beinah aussichtslos. Manchmal hilft eine Katastrophe. Da deren Ausmaß gewaltig sein muß, ist sie nur zu empfehlen, wenn Nichterkrankte von ihr nicht betroffen werden können.

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    MORBUS CLAUDENTIS, die Schließerkrankheit, bleibt heute selbst engen Freunden und Familienangehörigen des Kranken lange Zeit verborgen. Früher deutete oft ein Schlüsselbund, das der Patient stets bei sich trug und das rasch an Gewicht zunahm, auf die Erkrankung. Besonders schwere Fälle mit stürmischem Verlauf wurden durch Schlüsselbundzunahmetests erkannt. Heute sind Schlüsselbunde nicht mehr üblich, so daß es schwerfällt, MORBUS CLAUDENTIS rechtzeitig zu entdecken. Man untersuche bei einem M.-C.-Verdächtigen dessen Räumlichkeiten
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