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Der Utofant

Der Utofant

Titel: Der Utofant
Autoren: Johanna und Günter Braun
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(Büro, Wohnung, Lotterhaus), und stellt man fest, daß kein Behältnis des Normalgebrauchs (Wäschespeicher, Abstellsilo, Buch-Container, Speisefach) sich ohne weiteres öffnen läßt, kann diese Krankheit gegeben sein. Der Patient, dessen Gedächtnis meist noch intakt ist, in Einzelfällen sogar das eines hervorragenden Zauberkünstlers übertrifft, verfügt als einziger über Zahlenkombinationen und Losungsformeln für den Verschluß seiner Behältnisse, Räume, Fahrgegenstände. Während der Gesunde Zahlen und Formeln auf eine Schließmarke notiert, die er, falls nötig, in einer atomsicheren Kassette verwahrt und so nur eine einzige For mel zu behalten braucht, merkt sich der Kranke mit zunehmendem Leiden immer mehr Formeln und Kombinationen. Dadurch wirkt er gelegentlich abwesend und zerstreut. Oft verliert er jedes andere Einprägungsinteresse. Daß ein normal erzogener Mensch, sobald ein anderer eine für ihn wichtige Tür per Losungswort oder durch Zahlen anspricht, diskret beiseite tritt und demonstrativ sein Ohr verstöpselt, genügt dem Kranken nicht, er scheucht jeden Begleiter, auch intime Freunde und die eigene Frau, bei dieser Handlung fort. Erst auf sein Rufen dürfen sie sich langsam wieder nähern. Mit der Zeit fällt auf, daß er auch unwichtige Türen in dieser Art verschließt. Da er sich weigert, anderen die » Schlüssel« mitzuteilen, werden sie von ihm immer abhängiger, besonders wenn er im Familien verband, in einem Team, einer Wohngemeinschaft lebt und etwa deren Vorsteher ist. Nicht selten schließt er (aus Versehen?) andere Personen ein, die sich dann nicht befreien können. MORBUS CLAUDENTIS kann auf übersteigerter Diebstahlsangst, Besitzliebe und einem ungewöhnlichen Sicherheitsbedürfnis beruhen.
    Selbsthilfe : M.-C.-Kranke meiden. Ist man gezwungen, mit ihnen zu leben, eigene Schließvorrichtungen unauffällig anbringen. Im Frühstadium dem Kranken Arbeit bei einem Wach- und Schließinstitut oder (bei umgekehrtem Wunschverhalten) in einem Einbrecherteam besorgen. Zur Not könnte dieses fiktiv sein.

    5

    PESTILENTIA RENOVATIONIS, Erneuerungsseuche, sehr ansteckend, wird wahrscheinlich durch ein Virus ausgelöst, das sich auf der Netzhaut ansiedelt. Die Ansteckung soll durch Sichtkontakt erfolgen. Lästig kann ein an PESTILENTIA RENOVATIONIS Erkrankter für seine Umwelt dadurch werden, daß er beim Anblick fremder neuer oder generalüberholter Gegenstände sofort darangeht, auch seine eigene Umwelt (Wohnung, Haus, Fahrzeug, Geschäft, Büro) zu renovieren und Freunde und Familienangehörige zu überzeugen sucht oder sie nötigt, auch ihre Behausungen etc. der Renovierung zu unterwerfen. Weigern sie sich oder zeigen sie sich nur schwach begeistert, können beim Kranken Wutanfälle auftreten, bei denen er zu Sachbeschädigungen übergeht, um sein abnormes Renovierbegehren doch noch durchzusetzen.
    In der chronischen Phase will der Kranke die Lustgefühle, die ihm der Anblick einer total auf neu gemachten Umwelt verschafft, in immer kürzeren Abständen hervorrufen. Den feinsten Grauschleier nimmt er zum Anlaß, die ganze Hausfassade einreißen zu lassen; ein fehlendes unwichtiges Schräubchen treibt ihn zur Überholung oder zum Neukauf des ganzen Apparats, eine geplatzte Naht läßt ihn das ganze Kleidungsstück wegwerfen.
    Erfaßt die Krankheit größere Gruppen mit öffentlichem Einfluß, werden Bauwerke, die noch so gut wie neu waren, abgerissen, wieder aufgerichtet und wieder abgerissen; kleinere Ortschaften, Fabriken, Brücken, Tunnel, sakrale Bauten werden in die Luft gesprengt; einige Städte an der Millionengrenze sinken in stetem Wechsel in den Staub und stehen wieder auf, so daß auf Stadtplänen und Stadtansichten angegeben werden muß, welchem Renovierungsjahr sie entstammen, um ein Verirren des Besuchers zu verhindern.
    Die zweite Form der Seuche erweckt beim Angesteckten ein unbezwingbares Verlangen, auch Menschen seiner Umwelt zu erneuern. Sei es durch die Totalneuspritzung, das Teilrefreshment (billiger) oder die Operativ-Renovation. Meist aber sucht er diese Menschen durch eine Neuerwerbung zu ersetzen.
    Im höheren Alter nimmt die Infektionsbereitschaft merkbar ab. Selbstrenovierzwang tritt nur noch selten auf. Frauen erkranken häufiger.
    Selbsthilfe : Vorbeugend lasse man Gegenstände und Lebewesen seiner Umgebung natürlich altern und verschmutzen, man lebe mit alten, nicht zu gepflegten Sachen, vermeide zu häufiges Reinigen und Erneuern, sage sich
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