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Der Utofant

Der Utofant

Titel: Der Utofant
Autoren: Johanna und Günter Braun
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möchten trotzdem hier versuchen, mit den noch einigermaßen erhaltenen Seiten verschiedener Jahrgänge des UTOFANT, die wir bisher gesichtet haben, ein ungefähres Bild eines Journals aus dem Jahrtausend in zu geben. Hin und wieder schien es uns dabei angebracht, auch ein Fragment zu übernehmen. Manchmal haben wir zerstörte Worte, dem Sinn des Textes folgend, durch eigene ersetzt, manchmal ließen wir die Löcher ungestopft. Die Herausgeber

    Translation

    Ona von den Pfingstinseln fühlte sich durch die Äußerung ihres Professors verletzt, obwohl er sie als ehrliches Kompliment gedacht hatte. Wie schnell haben Sie sich hier mit allem zurechtgefunden! Da kann ich nur staunen.
    Ona berücksichtigte zwar, daß er die Pfingstinseln als abgelegene, unwirtliche und unattraktive Landschaft mit wenigen Wind und Wetter ausgesetzten Bewohnern zu betrachten gelernt hatte, als Inseln, die laut Enzyklopädie nichts anderes aufwiesen als Felsen, spärliche Vegetation, von ein paar windgebeugten Büschen abgesehen, die keine Bodenschätze, keine Städte, nicht einmal Dörfer, nur einige Ansiedlungen zu bieten hatten. Dazu fast durchweg Regen, Nebel, Sturm. Aber nach Onas Meinung stimmte alles dies nicht einmal halb. Sie würde nicht über ein Land urteilen, das sie nicht kannte. So kränkte sie das Lob, sie habe sich erstaunlich schnell in der Millionenstadt mit Metro, Autobussen, Museen und Kaufpalästen eingelebt, die Sprache unglaublich fix gelernt und Sitten und Gebräuche und die Kultur in sich eingesogen. Denn Ona war in einem Schafwollmantel, in Wollhose, Pullover, naturfarben und grobgestrickt, in dieser Metropole angekommen, einen Sack aus Fischhaut überm Rücken und an den nackten Füßen geflochtene Sandalen.
    Seit ihrer Ankunft waren noch nicht einmal zwei Monate verstrichen. Jetzt saß sie in der Oper in einem spitzwinklig ausgeschnittenen lila Abendkleid, mit hochgedrehtem Haar, mit Riesenohrringen und nach dem neuesten Visagisten-Strich bemalt, und hörte Gluck. Und in der Pause bewegte sie sich auf Schuhen mit hohen Stiftabsätzen, als hätte sie nie andere getragen, und sprach über die zunehmende Aktualität des Komponisten Gluck, als hätte sie auf den Pfingstinseln über niemand anders nachgedacht als ausgerechnet über diesen Gluck. Sie konnte aber auch mit Zottelhaar und in knallengen grünen Glibberjeans ins Jazzmuseum steigen und über Ellington und Armstrong reden. Und nicht nur etwas hinreden. Sie wußte Bescheid.
    Sie kannte die Diskussionen, die über sie intern geführt wurden. Aurelio Didas, ihr Professor, der sie mit Lob bedachte, erzählte ihr davon, wenn er sie durch die Restaurants der Metropole schleppte. Man sei der Meinung, sie habe nachahmende Fähigkeiten, auffallend rezeptive, dies sei jedoch nur ihre Hülle, denn man beobachte das häufig bei – auch diesen Ausdruck nannte ihr Professor Didas – bei Wilden eben, die überraschend schnell die Merkmale einer anderen, fortgeschritteneren Kultur annehmen. Die Hülle, die Schale, die Attitüde. Man sei gespannt auf den Zusammenstoß von Onas innerem Wesen, das man ihr selbstverständlich zubilligte, mit der rasch angenommenen zivilisierten Oberfläche.
    Ona hätte antworten können, glaubt denn ihr blöden Scheißer wirklich, ich höre Gluck und Ellington und Armstrong bei euch zum ersten Mal, bildet ihr aufgeblasenen Banausen euch ein, ihr hättet die Weltkultur gepachtet, meint ihr, wenn man auf Inseln sitzt, zu denen ihr nie hingekommen seid, man wüßte nichts, ihr Superhirne? Sie wußte, dieses war der Rundheraus-Stil, der hier gepflegt wurde. Man hätte sie bewundert, weil sie ihn derart schnell zu imitieren wußte, und ihre Worte hätte man als die erfrischende Naivität des unverbildeten Naturkindes empfunden.
    Groll hegte Ona gegen diese Leute nicht, die es mit der Bewunderung ehrlich meinten und sie so überheblich ansahen. Eher taten sie ihr leid, besonders Didas, der häufig zu ihr sagte, entweder bist du ein Genie, oder ihr von den Pfingstinseln seid von Natur so. Es gibt bekanntlich geniale Völkerschaften.
    Auch die Kommilitonen bedauerte Ona. Wie kommt es, daß du alles so leicht kapierst, du setzt dich in die Vorlesung über die Relativitätsgesetze, und wenn du rauskommst, sieht es so aus, als hättest du sie schon begriffen. Wie machst du das? Wann büffelst du?
    Was ist das, büffeln? fragte Ona.
Wann strebst du, meinen wir.
Was ist das, streben?
    Sie sagten aufgeregt, wir sehen dich kaum im Studienraum, wo wir uns
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