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Der Utofant

Der Utofant

Titel: Der Utofant
Autoren: Johanna und Günter Braun
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Gemeinwesen befanden. Wollten sie etwas Großartiges bauen? Sich einen hohen Lebensstandard zusammensparen, um dann so richtig loszuschlemmen? Wollten sie späteren Parsimonen-Generationen eine Gesellschaft des Überflusses hinterlassen? Zunächst beobachtete Schwendrich, daß Parsimonen alles verdächtig vorkommt, was mehr als fünfhundert Gramm wiegt. Briefe, die sie in dünne Postsäulen segeln lassen, sind federleicht, vier bis fünf Gramm etwa, denn Briefumschläge halten die Parsimonen für überflüssig, sie schreiben in kleinen, deutlichen Buchstaben nie mehr als ein Blatt voll. Meist sind es Kärtchen, auf denen sie das Notwendigste mitteilen.
    Auf Schwendrichs Einwand, daß auf diese Weise das Briefgeheimnis nicht eingehalten werde, entgegnete man ihm, es sei kein Fall bekannt, wo sich ein Parsimone zu einer solchen Energieverschwendung habe hinreißen lassen, einen Brief auch nur anzulesen, der nicht an ihn gerichtet war. Vertreter von Neugierberufen, Beamte des Geheimdienstes etwa, würden auch Briefe lesen, die dreifach verschlossen und versiegelt sind.
    Bei der Gelegenheit erhielt Schwendrich einen Einblick in Forschungen, die zur
    Vereinfachung des schriftlichen Verkehrs geleistet worden sind. Sie gipfelten in der erstaunlichen Feststellung, daß mindestens 90 Prozent der im Gebrauch befindlichen Wörter absolut überflüssig wären. Die Anrede Sehr geehrter Herr, Verehrte Frau oder gar Liebe Frau sei genauso unökonomisch wie die Formel Hochachtungsvoll, Mit vorzüglicher Hochachtung, Mit freundlichen, herzlichen oder besten Wünschen sowie Mit parsimonischem Gruß. Hier zeige sich deutlich die Einheit von Unmoral und Verschwendung. In der Regel sei der mit geehrt oder lieb angeredete Empfänger dieses in den Augen des Absenders nicht, er achte ihn auch nicht hoch, wünsche ihm keineswegs das Beste, und der parsimonische Gruß solle eine Gesinnung betonen, die entweder selbstverständlich sei und nicht hervorgehoben zu werden braucht oder geheuchelt sei.
    Überall, so sagte Schwendrich ein alter Parsimonist, wo die Unmoral der Verschwendung von Papier, Druckerfarbe, Zeit, Worten festgestellt wird, trifft man gleichzeitig auf weitere Defekte: Heuchelei, Angeberei, Pompliebe, aufgeblasene Minderwertigkeit, Verschleierungssucht, Hohlköpfigkeit, Gedankenschluderei. So heißt es auch nicht, wir freuen uns, Ihnen hierdurch mitteilen zu können, daß der Betrag von 37,50 Pars auf Ihr Konto überwiesen wurde. Die Nachricht lautet einfach: 37,5 Plus. Daß eine Finanzstelle nicht 37,5 Socken meint, sondern Pars, erscheint den Parsimonen logisch.
    Der Geiz mit Worten, so Schwendrich, bringt sie dazu, Sitzungen, die bei uns mindestens zwei bis drei Stunden erfordern würden, in fünf bis sieben Minuten ablaufen zu lassen. Die Sitzungsräume weisen weder Stühle noch Sessel noch Tische auf. Es lohnt nicht, wegen dieser paar Minuten Platz zu nehmen, die Frühstücksbrote und Rauchstäbchen hervorzuholen (die Parsimonen rauchen übrigens sowieso nicht), die Anwesenden zu begrüßen, ein Eingangsreferat zu halten, womöglich noch ein Lied zu singen, um dann allmählich zur Sache zu gelangen. So sind die Sitzungsräume der Parsimonen keine Säle oder Zimmer, sondern winzige Kammern, in denen es unnötig ist, durch lautes Reden Energie zu opfern. Man kommt sofort zum Thema. Einleitende Rückblicke in die Geschichte Parsimonias werden nicht zelebriert. Die Teilnehmer sind stets vorbereitet. Sie sprechen frei. Und äußerst konzentriert. Sie sagen nicht, es handelt sich um die Organisation der Abfallbeseitigung im neuerbauten Stadtteil Grünhagen, sondern nur Abfall Grünhagen. Jeder weiß, daß der Stadtteil neu und erbaut ist, sonst wäre er nicht da, und Abfall gäbe es auch nicht, vom Abfall aber weiß jeder, daß er beseitigt werden muß. Jeder schlägt in kürzester Form seine Variante vor. Darauf folgt eine Minute Bedenkzeit. Die Variante, die allen Teilnehmern am günstigsten erscheint, wird angenommen. Mir kam es so vor, als dächte jeder dabei an die günstigste Variante, nicht unbedingt an seine, die er vorgeschlagen hatte.
    Ich erlebte, wie ein Parsimone gerügt wurde, weil er zur Sitzung – das Wort gibt es, da nicht gesessen wird, auf Parsimonia nicht –, also zu der Beratung vier Sekunden zu spät kam. Die vorwurfsvollen Worte vier Sekunden und die verächtlichen Blicke der Teilnehmer ließen den Säumigen eine Sekunde lang erröten, weitere Zeit wurde dem Vorkommnis nicht geopfert.
    Leo K. Schwendrich
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