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Der Utofant

Der Utofant

Titel: Der Utofant
Autoren: Johanna und Günter Braun
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Aus seiner Art des Nickens schloß ich, daß er die Sache durchdenken würde. Einen sah ich, der es für Energieverschwendung hielt, das Seidenpapier einzustecken, er warf kurz einen Blick darauf und ließ es liegen. Der andere drehte es, um auch die Rückseite mit Argumenten zu bekritzeln. Nachdem der Autor auch diese liegenließ, schob er den Streifen in die Tasche. Für welchen Zweck, blieb mir verborgen. Angenehm fiel Herrn Schwendrich auf, daß parsimonische Kinder weder zu Hause noch in der Schule lärmen. Lehrer und Eltern sprechen sie mit Blicken an, die Schüler werden optisch aufgerufen, man rügt sie, wenn sie für eine Antwort zuviel Worte brauchen, zwanzig plus siebzehn, welche Wortvergeudung. Zwonulleinssieben genügt. Im Minusfalle zwonullstrichsieben. Antwort nicht siebenunddreißig sondern dreisieben, bei Minus einfach dr oder d, erzeugt durch einen leisen Schlag der Zungenspitze.
    Schwendrich war Zeuge, als eine Schulklasse parsimonische Märchen las. Befremdend für Nichtparsimonen, daß Überfluß, Gold, Edelsteine, das Herrlichund-in-Freuden-Leben, das Prunkschloß in diesem Märchen keine Rolle spielten. Das höchste Glück, das einem Prinzen widerfährt: Er findet einen papiernen, noch gut erhaltenen Straßenbahnfahrschein, baut sich ein Haus daraus und wohnt darin mit der Prinzessin. Ein anderer Prinz hängt seine Regenhaut an einen Baum, mit dem herabtropfenden Wasser betreibt er mehrere Kraftwerke. Und das berühmte Liebespaar, bei dem der Atem vor Liebe derart glüht, daß es, wenn es sich liebt, das ganze Wohnhaus heizt. Die Spielmoral der Kinder hält Schwendrich für echt parsimonisch. Nicht derjenige Rollerfahrer gilt als der beste, der am gewaltigsten aufgepumpt und am metallglanzreichsten dahergewuchtet kommt, sondern der auf dem zierlichsten, materialunaufwendigsten herangleitet. Selbstverständlich gehört es sich, den Roller selbst zu bauen, nach Möglichkeit ihn sogar zu entwerfen. Sein Windrad baut der kleine Parsimone, zunächst von seinen Eltern angeleitet, ebenfalls selbst. An windigen Tagen hält er ein hauchdünnes Rad aus Seide und Papier und läßt sich auf leichten Federrollschuhen vom Wind mit anderen um die Wette treiben. Ein sehr beliebtes Spiel ist das Ausfindigmachen von kleinen Gegenständen in den Straßen. Wer eine Stecknadel entdeckt, wird bewundert. Parsimonischen Gesundheitsstatistiken entnahm Schwendrich, daß Diabetes, Übergewicht und beinah alle Krankheiten der Galle und der Leber unbekannt sind. Auch Mangelkrankheiten treten nicht auf. Dagegen werden die Parsimonen öfter von Erkältungen heimgesucht, sie neigen zu Ohnmachtsanfällen und Erbrechen. Daß sie sich leicht erkälten, meint Schwendrich, liegt vielleicht an der Kleidung, die man auf Parsimonia Haut nennt. Sie ist durchsichtig, und wenn es kalt wird, legt man sich mehrere Häute um. Bei starker Kälte bläst man in die Räume zwischen den Häuten Warmluft, und man berechnet sorgfältig, wieviel man braucht, um einen Weg gewärmt zurückzulegen. Das funktioniert nicht immer, niemals geschieht es aber, daß zuviel Warmluft eingeblasen wird, eher fällt sie ganz aus. Der Hauptgrund für die genannten Krankheiten ist meines Erachtens in einer Übertreibung zu suchen. Führende Parsimonisten verbreiteten die Lehre, der parsimonische Körper müsse durchsichtig sein. Das veranlaßte die Damen, ihre Knochen und Adern zu zeigen, und wenn sie nach Diätkuren noch nicht genügend vortraten, sie mit bläulichen Stiften nachzuziehen. Auch Männer schlössen sich dieser Mode an. An irgendeiner Stelle auch nur eine dünne Fettschicht zu besitzen, galt als unparsimonisch. Es wurde als unnötiger Luxus erklärt, behaart herumzulaufen, ebenso galt als verschwenderisch, Finger und Fußnägel wachsen zu lassen, anstatt diese Materialien industriellen Zwecken zuzuführen. So schoren sich die Parsimonen kahl und bekritzelten ihre Köpfe und andere haartragende Teile, wodurch aber der Wärmeverlust nicht kompensiert werden konnte. Diese Übertreibungen sind im Abklingen, wie mir versichert wurde. Manche Ideen der führenden parsimonischen Theoretiker erscheinen nützlich. Wird etwas verbrannt, so ist dafür zu sorgen, daß die Abgase aufgefangen werden, um aus ihnen etwas herzustellen. So ist die Atmosphäre auf Parsimonia geruchlos.
    Keinen tieferen Einblick erhielt Schwendrich in die Liebesverhältnisse der Parsimonen. Liebeserklärungen scheinen bei ihnen als Höhepunkt der Verlogenheit, mit der nach ihrer Logik
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