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Im Namen der Gerechtigkeit - Roman

Im Namen der Gerechtigkeit - Roman

Titel: Im Namen der Gerechtigkeit - Roman
Autoren: Nagel & Kimche AG
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    DIE NÄGEL. Damit begann alles. Jeden Tag, wenn Doni zur Arbeit oder zur Mittagspause ging oder wenn er auf dem Heimweg war, blieb er kurz stehen und betrachtete sie.
    Von weitem wirkten sie wie Unregelmäßigkeiten oder natürliche Flecken im Stein, doch es waren Nägel, dicke Spreiznieten aus Metall, dazu da, den Marmor zu stützen, denn der Originalmörtel begann zu bröckeln, und das ganze Gebäude war einsturzgefährdet. Diese kleinen Teile hatten, natürlich, so etwas wie eine Moral. Die Stätte der Gerechtigkeit den höheren Gesetzen der Materie unterworfen. Doch Doni sah darin nur die Blödheit der Menschen und bestenfalls noch eine Lehre: Baue nie auf Sand.
    Am Tag, als sie ihm schrieb, ging Doni durch den Kopf, dass den Justizpalast dieses Schicksal wohl ereilt hatte, weil er sich seiner Umgebung verweigerte. Er kämpfte gegen sie an, unfähig, zu diesem oder auch zu jedem anderen Teil der Stadt zu gehören. Das konnte nicht nur an Nägeln, Rissen und Hässlichkeit liegen, und auch die faschistische Architektur und der Triumph der Breite über die Höhe genügten nicht, um ihn zu verdammen: Nein, dieser Palazzo hatte etwas Besonderes an sich.
    Es hatte mit Exil zu tun. Mit einem schwer fassbaren Gefühl.
    In diesem Bauwerk fühlte Doni sich fernab vom Rest der Stadt, der Nation, der Welt. Es wurde von der Kraft Hunderter Nägel gehalten, Sand auf Sand gebaut.
    Anstatt wie gewohnt mit einem Energieriegel vorliebzunehmen, aß Doni am Tag, als sie ihm schrieb, mit Staatsanwalt Salvatori zu Mittag. Das war sonst nicht üblich. Die Richter und Staatsanwälte hatten es immer eilig, man ging höchstens in einen der schrecklichen Schnellimbisse in der Umgebung.
    Die wenigen noch verbliebenen Freunde und besonders sein Schwager beneideten ihn um die Lage des Palazzos: Mochte er auch ein Klotz sein, der sich seiner Umgebung verweigerte, so war er doch nur einen Katzensprung vom Dom entfernt. Daher könnte man meinen, Doni würde in kleinen, entzückenden Brasserien à la française oder in nüchternen Bars im Stil der zwanziger Jahre essen – Safranrisotto, Steaks, dazu Kaffee an der Theke mit dem Schal über dem Mantel.
    Dabei aßen Doni und seine Kollegen fast nur Brötchen. Viele hatten einen regelrechten Hass auf das Ritual des Mittagessens entwickelt, und manche zogen durch bis zum abendlichen Aperitif oder bis zum Essen, bei dem sie sich dann für alles andere schadlos hielten.
    Doch mit Salvatori war das etwas anderes. Sich mit ihm ein wenig die Zeit zu vertreiben war angenehm, denn er war ein gewöhnlicher und verzweifelter Mann. Zwei Eigenschaften, die Doni nicht ausstehen konnte, die jedoch vereint in einem durchaus selbstironischen Dickerchen um die fünfundvierzig aus der Basilicata eine amüsante Mischung bildeten.
    Sie gingen in ein Restaurant in der Via Corridoni. Doni bestellte eine Seezunge nach Müllerin-Art und probierte ein Ökobier. Während des gesamten Essens behielten sie die übliche Rollenverteilung bei, in der Salvatori den Schwätzer abgab und Doni den Part mit den Antworten im Telegrammstil übernahm.
    «Du bist jetzt fein raus, was?»
    «Abgesehen davon bin ich vor allem alt.»
    «Tja, sicher. Aber da hinzukommen, in die Oberstaatsanwaltschaft.»
    «Ach, da kommst du auch noch hin. Mit etwas Geduld.»
    «Aber du hast Stehvermögen. Du bist ein Arbeitstier, das weiß jeder.»
    «Ich war schon immer ein Arbeitstier.»
    «Ja, aber du bist es auch jetzt noch. Du setzt dich nicht aufs Altenteil. Verstehst du, was ich meine?»
    Doni schüttelte kaum merklich den Kopf.
    «Jetzt geben sie dir noch einen schönen Posten als Staatsanwalt in der Provinz, und dann machst du es dir gemütlich», beharrte Salvatori. «Oder etwa nicht?»
    «Das will ich hoffen. Ich sollte nach Varese, doch dann haben sie lieber Riccardi genommen.» Doni schnitt das letzte Stückchen Seezunge in zwei gleich große Teile. «Jünger und brillanter als ich, wie es aussieht.»
    «Und stärker seiner Fraktion im Verband verhaftet.»
    «Und stärker seiner Fraktion im Verband verhaftet.»
    «Aber jetzt erholst du dich doch, oder? Pavia, Piacenza … Oder vielleicht weiter nördlich, Como … Verdammt, wie heißen die Nester da noch mal?»
    «Keine Ahnung. Como, Lecco?»
    «Ja, genau. So was in der Art.»
    «Wir werden sehen.»
    «Du hast keine Lust mehr hierzubleiben, was?»
    Doni zuckte mit den Schultern und trank einen Schluck Wasser. Die Kellnerin brachte die Rechnung.
    «Ich habe jedenfalls die Nase voll», sagte
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