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Yolo

Yolo

Titel: Yolo
Autoren: Gisela Rudolf
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Eintritt am Nachmittag
hat es geheißen,
Check-in
wäre mir lieber gewesen. Es ist erst zehn. Ein Zuviel an Zeit bin ich nicht gewohnt, es macht mir sogar Angst. »Die werden dich schon beschäftigen!« Christian war bei meiner Abfahrt um Humor bemüht.
    An der Tankstelle wartet zwar ein hilfsbereiter Asiate auf Arbeit, doch von Motoren versteht er noch weniger als ich. Schließlich füllt ein Dritter Öl auf. Den Rest schafft der Neuling problemlos –
Benzinnachfüllen
lässt sich mit Handzeichen erklären.
    Die Raststätte ist kaum besetzt. Kein Anstehen und sogar ein Platz am Fenster. Licht beschwichtigt. Der Espresso ist gut, das Croissant trieft von Fett. Ich wickle das angebissene Ding unauffällig in die Papierserviette, lege es in die Handtasche.
    Die Leute draußen, die an den Glasscheiben vorübergehen, in ihre Autos einsteigen und aussteigen, realisieren nicht, dass sie Zuschauer haben. Benähmen sie sich anders? Dort lässt ein Paar die alte Mutter wie einen Hund hinter sich her humpeln; hinter dem Trio wirft einer seine halbleere Pommesschachtel zu Boden, kratzt sich im Schritt; beim Abfahren spuckt er aus dem offenen Fenster …
    Wenn ich selbst beobachtet werde, bin ich äußerst anständig.
    Einzig während der Studentenzeit konnte ich alle Hemmungen ablegen. Mit den Jahren nahm das Gewicht der andern wieder zu, das, was sie von mir dachten, was sie über mich sagten. In den letzten Wochen fühlte ich mich sogar in meiner eigenen Wohnung beobachtet. Insbesondere von mir selbst. Im Schulzimmer maßregelte mich mein Aufpasser immer häufiger, drohte mich zum Hampelmann der Schüler zu machen. Je unflätiger sie wurden, desto freier fühlten sie sich. Mit jedem Tag verlor ich mehr an Respekt.
Verdammt nochmal, Ruhe endlich!
An einem Nachmittag schwatzte sogar Sonja unbeeindruckt weiter.
Verdammt nochmal!
Bis sich meine Stimme überschlug, der Atem knapp wurde und stockte. Hechelnd flüchtete ich auf den Flur. Während ich dort noch nach Luft rang, ertönte die Pausenglocke. Schon stürmten die ersten Schüler über die Treppe. In meiner Klasse indes wurde das Palaver leiser. Stille. Etwas ermutigt ging ich wieder hinein – das Schulzimmer war leer, der Durchzug der offenen Fenster knallte die Türe hinter mir zu.
    »Jetzt schau dir doch mal den an, der dort aussteigt, der bringt sicher hundert Kilo auf die Waage!« Und weiter sagt die Frauenstimme in meinem Rücken: »Wie kommt der in diesem kleinen Wagen überhaupt hinters Steuer!«
    »Schau dir lieber die Luxuskarre an, die neben dem schwarzen Subaru, das ist … «
    Die Frau fällt dem Mann, untrüglich ihr eigener, ins Wort: »Du warst vorhin auf der Toilette, hast du den Zettel aus dem Automaten mitgenommen?«
    »Welchen Zettel?«
    »Hans! Sag nicht, du weißt das nicht: Heutzutage kannst du doch nirgends mehr gratis auf die Toilette gehen! Beim Bezahlen hätten wir den Einfränkler zurückerhalten. Aber nur mit dem Beleg.«
    »Neunhundertzwanzig PS , das ist der stärkste Porsche aller Zeiten!«
    Womit das schräge Hörspiel zu Ende ist.
    Mit einer Apfelschorle auf der Konsole fahre ich weiter. Das Radioprogramm ist interessant, das Wetter ideal – Schmerz, was willst du mehr.
    Die Nähe zum Ziel steigert mein Durcheinander. Und wieder mündet das innere Gewirr in den einen Satz: Es hat alles keinen Sinn.
    Ich versuche an nichts zu denken. Oder nur an etwas Positives. Oder wenigstens nicht an Schlechtes. Das habe ich mir schon bei der Abfahrt vorgenommen. Nur das. Nicht einmal das bringe ich zustande. Bei mir dreht sich alles nur im Kreis. Und wer seine Gedanken und Gefühle nicht mehr steuern kann, ist reif für die Klinik.
    Dabei bin ich nicht krank. Bloß eine von denen, deren Leben etwas missglückt ist, zumindest in jüngster Zeit. Lädierte Schulter und einige Schrammen obendrein … Die Folge falschen Verhaltens.
    Als ob alles seine Logik hätte!
    Da lebst du dahin in der Normalität des Alltags, nicht unglücklich und auch nicht ohne Spaß. Aber kaum sollst du ein paar Herausforderungen bewältigen – schon torkelst du. Alles wird hoffnungslos kompliziert. Und keiner da, der mitempfindet, kein Mensch, der dich stützt.
    Das ist die Logik meines Lebens.
    Wo die Autobahn in einen Tunnel mündet, beugt sich ein Gebirgsstock bedrohlich gegen die Straße. Das Traumbild vergangener Nacht! Ich stand auf einer steil abfallenden Bergwand und sah, wie ein Hund vor mir in die Tiefe stürzte. Nur wenige Augenblicke dauerte der Fall. Sind Tiere zu
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