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Dhalgren

Dhalgren

Titel: Dhalgren
Autoren: Samuel R Delany
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    PRISMA, SPIEGEL, LINSE
     
     
    1
     
    um die herbstliche Stadt zu verwunden.
    So schrie ich, um ihm um alles in der Welt einen Namen zu geben.
    Das im dunkeln Bleibende antwortete mit dem Wind.
    Alles, was ihr kennt, kenne auch ich: gleichgewichtslose Astronauten und Bankangestellte, die in Erwartung der Mittagspause auf die Uhr blicken, Schauspielerinnen, die sich vor den lampenbesetzten Spiegel kauern, und Lastenaufzugführer, die eine Stahlkurbel mit einem Daumenvoll Schmiere einfetten, Studentenrevolten; weiß, daß schwarze Frauen in Bodegas letzte Woche die Köpfe schüttelten, weil die Preise innerhalb von nur sechs Monaten so unglaublich gestiegen sind; weiß, wie Kaffee schmeckt, wenn man ihn eine ganze Minute lang im Mund behalten hat - kalt.
    Eine ganze Minute lang kauerte er da, umklammerte Kiesel mit den Zehen seines linken Fußes (der nackt war) und horchte die Felsen hinunter auf das Geräusch seines Atems.
    Hinter ein paar Büschen glitzerte das reflektierte Mondlicht.
    Er rieb seine Handflächen an dem derben Baumwollstoff. Es war still, dort wo er war. An einem anderen Ort, weiter weg, heulte der Wind.
    Die Blätter bewegten sich.
    Wind war es nicht gewesen, in den Büschen unten, etwas bewegte sich. Seine Hand griff hinter sich auf den Felsen.
    Sie erhob sich, keine zehn Meter weit unter ihm, bedeckt nur von den Schatten, den der Mond durch den Ahorn warf; sie bewegte sich, und die Schatten bewegten sich mit ihr.
    Angst kroch ihm die Seite hoch, wo sich sein Hemd (die mittleren Knöpfe fehlten) in der Brise blähte. Die Muskeln spannten sich hinter seinen Kiefern zu einem harten Band. Schwarzes Haar versuchte, wegzuwischen, was die Angst auf seine Stirn brachte.
    Sie flüsterte etwas mit vollem Atem, und der Wind nahm die Worte und beraubte sie ihrer Bedeutung.
    »Ahhhhh . . .« kam es aus ihr.
    Er atmete mühsam aus, fast wie ein Husten.
    Und wieder». . . Hhhhhhh . . .«und ein Lachen, mit spitzen Tönen, wie ein helles Knurren unter dem Mond. ». . . HhhhHhhh . . .«, was nun deutlicher klang, vielleicht sogar seinen Namen bedeutete. Doch der Wind . . .
    Sie schritt weiter.
    In der Bewegung wechselten die Schatten, gaben eine Brust frei. Über einem Auge glänzte ein Rhombus aus Licht. Wade und Knöchel leuchteten vor dem Blätterhintergrund.
    Am unteren Teil des Beines war ein Kratzer.
    Sein Haar wurde ihm aus der Stirn geweht; er sah, wie das ihre nach vorn flog. Sie bewegte sich mit ihrem Haar, schritt über die Blätter, spreizte die Zehen vorsichtig auf den Steinen, verharrte kurz auf den Zehenspitzen, um aus dem dunklen Schatten herauszutreten.
    Auf dem Felsen zusammengekauert strich er sich mit den Händen über die Hüften.
    Seine Hände waren abstoßend.
    Sie ging an dem nächsten, näheren Baum vorbei. Der Mond malte goldene Flecken auf ihre Brüste mit den großen braunen Höfen um die kleinen Warzen. »Du . . .?« Sanft sagte sie das, nur noch einen Meter weit weg und blickte nach unten. Er wußte immer noch nicht, wie sie aussah, weil die Blätterschatten sie sprenkelten. Ihre Wangenknochen waren jedoch hoch, asiatisch. Sie war asiatisch, und er wartete auf ein Wort von ihr, um den Akzent einordnen zu können. (Er konnte den japanischen vom chinesischen unterscheiden.) »Du bist also gekommen!« Es war der melodische Tonfall des Mittleren Westens. »Ich war mir nicht sicher, ob du kommen würdest.« Ihre Stimme (ein klarer Sopran, geflüstert) verriet ihm, daß ein Teil von dem, was er für Schattenspiel gehalten hatte, Furcht gewesen war. »Du bist da!« Sie ließ sich unter Blätterrascheln auf die Knie fallen. Ihre Schenkel, hart vorne und - das wußte er - weich an den Seiten, mit einer dunklen Säule dazwischen, waren nur Zentimeter von seinen verschränkten Beinen entfernt.  
    Sie streckte ihre halb geöffnete Hand nach ihm aus, schob den Wollstoff beiseite, berührte seine Brust, ließ ihre Finger hinabgleiten. Er konnte sein Haar unter der Berührung knistern hören.
    Ein Lachen wandte ihr Gesicht dem Mond zu. Er lehnte sich nach vorn, Zitronenduft füllte die atemlose Distanz. Ihr rundes Gesicht war zwingend, die Augenbrauen unasiatisch breit. Er schätzte sie auf über dreißig, doch hatte sie nur zwei kleine Falten in den Mundwinkeln.
    Er begegnete ihrem Mund mit offenen Lippen und legte seine Hände um ihren Kopf, bis ihr Haar sie bedeckte. In seinen Handflächen fühlte er ihre Ohrmuscheln wie heiße Halbschalen. Ihre Knie rutschten auf den Blättern, was sie nach
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