Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Anti-Eis

Anti-Eis

Titel: Anti-Eis
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
 
Prolog

----
Ein Brief an den Vater
     
     
    7. Juli 1855
    Vor Sewastopol
    Mein lieber Vater,
     
    Ich weiß kaum, wie ich Euch anreden soll nach dem
schändlichen Vorfall, der mich dazu bewogen hatte, mein
Elternhaus zu verlassen. Ich weiß sehr wohl, daß ein
volles Jahr verstrichen ist, ohne daß ich Euch eine Nachricht
habe zukommen lassen, und ich empfinde nur tiefe Scham wegen meines
Schweigens. Ich kann Euch versichern, bei dem Gedanken, daß
Ihr, Mutter und Ned vielleicht geglaubt habt, ich würde irgendwo
im entferntesten Winkel Englands liegen, einsam, mittellos und dem
Tode geweiht, fühle ich mich schuldig.
    Nun, Sir, die Liebe und die Pflicht in Verbindung mit den
außergewöhnlichen Ereignissen der letzten Tage haben mich
dazu bewogen, mein Schweigen zu brechen. Vater, ich bin am Leben und
gesund und kämpfe in der 90. Leichten Infanterie im Krimkrieg
für die Sache des Empire! Ich beginne diesen Bericht in den
Ruinen einer russischen Festung, die wir als Redan bezeichnen –
so geheißen wegen ihres dem französischen ›Zahn‹
nachempfundenen Grundrisses. Ihr müßt wissen, daß es
sich hierbei um ein schlichtes, jedoch wirkungsvolles Schanzwerk aus
Sandsäcken und Erdwällen handelt – vor den Ruinen von
Sewastopol. Es bestehen bei mir keine Zweifel daran, daß meine
bisherigen Ausführungen Euch schon hinlänglich
überrascht haben – und ich hege die Hoffnung, daß
Euer Herz von der Kunde meines Überlebens bis zum heutigen Tage
berührt wird – und nichtsdestoweniger solltet Ihr Euch
für noch Erstaunlicheres wappnen, lieber Vater, im Verlauf der
Geschichte, die ich zu erzählen habe. Sicherlich habt Ihr in
Russells Meldungen an die Zeitung The Times von der
kürzlich erfolgten Erstürmung der Festung Sewastopol durch
diesen Traveller und seine infernalische Anti-Eis-Granate gelesen.
Sir, ich habe das alles mit eigenen Augen gesehen. Und, angesichts
meiner ewigen Schande, betrachte ich mein Überleben als ein
unverdientes Geschenk des Herrn, wo so viele gute Kameraden –
Franzosen und Türken ebenso wie Engländer – neben mir
gefallen sind.
    Ich schulde Euch eine Erklärung dafür, was mir
widerfahren ist, seit ich Sylvan an jenem dunklen Tage im
vergangenen Jahr verließ, und wie es mich an diese entfernten
Gestade verschlagen hat.
    Wie Ihr wißt, hatte ich nur ein paar Schillinge in der
Tasche. Ich verachtete mich selbst, Sir, und schämte mich; in
dem Bestreben, meinen Fehler wieder gutzumachen, bestieg ich die
Schwebebahn nach Liverpool und meldete mich dort beim 90. Regiment.
Ich trat als einfacher Soldat ein; ich verfügte natürlich
nicht über die Mittel, einen Offizierstitel zu erwerben, und
überhaupt hatte ich beschlossen, in die Niederungen der
Gesellschaft hinabzusteigen, mich unter die Niedrigsten der Niedrigen
zu mischen, um mich so von meinen Sünden reinzuwaschen.
    Eine Woche nach meiner Ankunft in Liverpool wurde ich nach Clatham
abkommandiert und verbrachte dort einige Monate, um eine Ausbildung
als Soldat des Empire zu absolvieren. Dann, entschlossen, mein Leben
dem Willen des Herrn zu überantworten, meldete ich mich im
Februar dieses Jahres freiwillig bei der 90. Leichten Infanterie, um
hier, im Türkischen Krieg, eingesetzt zu werden.
    Als ich auf meinen Transport wartete, in der Überzeugung,
daß auf den entfernten Schlachtfeldern der Krim nur der Tod
meiner harrte, war mein Verlangen, Euch zu schreiben, am heftigsten;
aber mein Mut – der mich hier durch die grausamsten Gemetzel
gerettet hat – schwand angesichts einer so trivialen Aufgabe,
und so verließ ich England ohne ein Wort.
    Nach fünfzehn Tagen erreichten wir Balaclava, und dann hatten
wir noch einen mehrtägigen Marsch auf der Straße nach
Norden zu den alliierten Stellungen um Sewastopol vor uns.
    Ich bitte Euch um Geduld, wenn ich die Situation beschreibe, die
ich dort vorfand; wenn auch Korrespondenten wie Russell die Heimat
schon erschöpfend über den Feldzug unterrichtet haben, wird
Euch vielleicht doch die Perspektive eines gemeinen Infanteristen des
Heeres – denn ein solcher bin ich, und zwar mit Stolz –
interessieren.
    Sir, Ihr wißt, weshalb wir hier sind.
    Unser Empire umspannt die ganze Welt. Und unser Dominion wird
zusammengehalten durch Verbindungen, die unsere Lebensadern
darstellen: Straßen, Eisenbahnen, Schwebebahnen und
Seewege.
    Zar Nikolaus hatte auf der Suche nach einem Mittelmeerhafen seinen
neidischen Blick auf das zerfallende Ottomanische Reich geworfen.
Also bedrohte er
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher