Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Untergang der Telestadt

Der Untergang der Telestadt

Titel: Der Untergang der Telestadt
Autoren: Alexander Kröger
Vom Netzwerk:
rollt…«
    Mich befiel die irritierende Vermutung: ein Betrunkener…?
    Natürlich habe ich vor unserem Start und auch noch einigemal auf der Telesalt an Festlichkeiten oder sogenannten gemütlichen Runden teilgenommen, zu denen auch Alkohol genossen wurde, und noch befinden sich unter meinen Vorräten einige Flaschen Wein. Entgleisungen aber habe ich höchstens zwei oder drei erlebt, als wir als Halbwüchsige »probierten«…
    In das Bild einer bis aufs äußerste disziplinierten Siedlergruppe, erst recht nicht in meine Erfahrung und Erinnerung an meine Gefährten auf Neuerde, paßte ein Betrunkener, dem offenbar die Kontrolle über sich selbst völlig abhanden gekommen war, überhaupt nicht.
    Ich sah zur Uhr. Sie zeigte die zehnte Stunde, also Mittag, an.
    Und tatsächlich, wenig später torkelte ein Mann an uns vorbei, er sang aus voller Brust, lachte dazwischen, schien überhaupt einer von jenen gutmütigen Betrunkenen zu sein, und wie um uns die richtige Klischeevorstellung eines solchen zu vermitteln, schwenkte er eine halbvolle Flasche durch die Luft.
    Einen Augenblick lang fiel ich in belustigtes Verwundern. Pitt neben mir kicherte, daß ich mahnend den Zeigefinger an die Lippen legte. Ich befürchtete, er prustete jeden Augenblick los…
    Doch die Verwunderung machte der Empörung in mir Platz. Was, um alles in der Welt, war mit diesen Mutigen, mit diesen selbstlosen Helden, mit den Sendboten der edelsten aller Menschen geschehen? Denn daß jener mit dem struppigen Bartgesicht, mit dem Taumelgang, der be
drohlich erhobenen Flasche, der um die Mittagszeit so fröhlich singend durch die Siedlung zog, offenbar keine Einzelerscheinung war, wurde mir deutlich, als ich ihm empört, verunsichert hinterhersah. Eine Gruppe jüngerer Leute kam dem Randalierer entgegen, und sie nahmen keine besondere Notiz von ihm. Sie lachten ein wenig, machten ihm Platz, einer der Jungen rief zur Begrüßung fröhlich »Hallo!«, und sie gingen weiter und setzten ihre Unterhaltung fort, als sei nicht das geringste geschehen. Ich konnte nicht anders als annehmen, ein Betrunkener um die Mittagszeit in der Hauptstraße von Seestadt, der City der Menschheit auf Neuerde, sei simpelster Alltag.
    Anschließend hatte ich Mühe, Pitt zu erläutern, was ein Betrunkener und daß derartiges verwerflich sei…
    Ja, und dann kamen wir an ein Gehöft, mitten im Zentrum der Stadt, an dessen Haupthaus man einen Flachbau großen Ausmaßes angebaut hatte. Und da heraus schallte Lärm, der sich im Näherkommen als das Stimmengewirr von vielen laut und undiszipliniert geführten Unterhaltungen erwies. Eine Gaststätte, eine Kneipe, wie sie in etlichen Büchern, so auch in solchen, die ich erst kürzlich gelesen hatte, beschrieben sind. Ich erinnere mich nicht, jemals noch solches in meiner Jugend auf der Erde gesehen zu haben, selbst in den kleinsten Orten nicht.
    Ich weiß nicht, was mich in diesem Augenblick getrieben hat, einfach Neugier, ein Hang, das Maß des Niedergangs zu ergründen… Ich nahm Pitt an die Hand und betrat das Lokal.
    In der Tür blieb ich angeekelt stehen, so ein Dunst schlug uns entgegen, sicher durch die stehende Schwüle des Tages noch vervielfacht. Es war ein gesättigter Brodem von Alkoholgeruch und blauem Rauch – ich benötigte Sekunden, um auf den Begriff Tabak zu kommen –, der uns da entgegenschlug. Entsprechend war die Sicht im Raum.
    Vollbesetzt zeigte sich das Schankzimmer nicht, aber immerhin – so schätzte ich – zwanzig bis fünfundzwanzig Leute befanden sich darin, Männer und Frauen gleichermaßen, und die meisten wohl durch Alkoholgenuß in ausgelassener oder manche auch in depressiver Stimmung. Vom Eingang kommend, muß man am Tresen vorbei. Wir traten zögernd näher, in Pitts Hand spürte ich leisen Widerstand. Vom Mann hinter der Theke, der mir bekannt vorkam, wurde ich sofort angesprochen. »Was soll’s sein, Frau?«
    Verstört sah ich mich um. Mein nächster Gedanke hieß: Raus hier! Aber zwei Meter vor mir stand ein Mann an der Theke. Er aß etwas festes Braunes mit den Fingern, schwankte leicht vor und zurück, und ich erkannte ihn sofort: Leo Mittand, eine Zeitlang mein bester Schüler in der zehnten Klasse.
    Ich wandte mich erschrocken ab, gleichzeitig aber gab es etwas in mir, was mich hielt.
    Da sagte Pitt das Erlösende: »Können wir so etwas essen, Mam?«
»Ja, ja – natürlich, Junge… Zwei Portionen, bitte.«
»Wovon?« fragte der Mann hinter dem Tresen.
    »Von dem.« Ich deutete mit
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher