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Der Untergang der Telestadt

Der Untergang der Telestadt

Titel: Der Untergang der Telestadt
Autoren: Alexander Kröger
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hatte.
    Viel konnte ich, wie gesagt, nicht ausmachen, man schleppte allerlei große Gegenstände aus dem Schiff, allenthalben dröhnten schwere Schläge, kreischten gewaltsam gelöste Verbindungen, krachten geworfene Gegenstände zu Boden, daß die Luft im Schiff zitterte.
    Einigemal befürchtete ich, so nahe klang das Getöse, daß man in unsere Kemenate dränge, uns entdeckte.
    Nach Stunden ebbte der Lärm ab. Ein Fahrzeug nach dem anderen verließ den Platz, es zog Ruhe ein im Schiff, nicht in mir. Ich mußte mich zwingen, noch einige Zeit zu warten, um wirklich sicher zu sein, daß alle Seestädter den Ort verlassen hatten. Aber ich brauchte Gewißheit: Was war das, was wollten sie, was haben sie entfernt, weggeschleppt, welches waren die Gründe, die sie im Schiff, diesem letzten Stück Heimat, wie die Vandalen hausen ließ…?
    Es war mir übrigens nur mit Mühe gelungen, diese Zeit über Pitt zu beruhigen. Natürlich ängstigten ihn die Geräusche, und er wollte von mir wissen, was das zu bedeuten hätte. Es gelang mir dann auch nicht, als ich meinte, die Zeit für einen Inspektionsgang sei gekommen, Pitt allein in der Wohnung zu lassen. Ich mußte mich wohl oder übel entschließen, ihn mitzunehmen, gleichgültig, was uns erwarten würde.
    Es zeigte sich schlimmer, als ich befürchtete, glücklicherweise nicht für Pitts kindliches Gemüt.
    In den meisten Räumen, vor allem aber den ehemaligen Wohnungen, sah es aus, als hätten Vandalen schlimmster Sorte gehaust. Man hatte unfachmännisch, gewaltsam, wahllos Einrichtungsgegenstände herausgerissen, dort, wo die Verankerung zu sehr widerstand, zerstört.
    Ich stand nach der Inspektion dreier Räume eine Weile wie vor den Kopf geschlagen, konnte das Ganze nicht fassen. Immer wieder stellte ich mir die Frage: Wozu? Was könnte vernünftige Menschen veranlaßt haben, so zu handeln? Ich konnte mir auch nicht vorstellen, daß unter dem Entfernten noch viel Verwertbares sein sollte. Was war in die Seestädter gefahren…?
    Später, als ich ungefähr das Ausmaß kannte, ich habe die Inspektion auf einem gewissen Punkt einfach abgebrochen, kam mir der Gedanke, es könnten auch Bergstädter gewesen sein. Bei denen vermochte ich mir noch eher vorzustellen, daß sie Bedarf an Gegenständen des Schiffes haben würden, denn zu meiner Zeit befand sich der Aufbau der Siedlung im Anfangsstadium, und ich dachte mir weiter, daß die Neusiedler nach so langer Zeit von diesen Anfängen nicht mehr viel sehen konnten. Aber warum dann dieses Unsorgsame, diese sinnlose Zerstörung? Ich erklärte es mir schließlich nicht anders als damit, daß man die Gegenstände zu anderen als zu Einrichtungszwecken dem Schiff entnommen hatte. Leichter machte mir solch ein Gedanke die Beantwortung der Frage aber nicht.
    Noch am Abend desselben Tages schmiedete ich mit Pitt Pläne für einen neuen Ausflug nach Seestadt, nur dort konnte – vielleicht auch nur mittelbar – die Antwort liegen. Und die Art und Weise des Verhaltens meiner Mitbürger ließ schon darauf schließen, daß sich Einschneidendes zugetragen hatte.
    Pitt war Feuer und Flamme, und er versprach auch, alle Verhaltensvorschriften einzuhalten.
    Wir haben also die vergangenen sechs Tage diese Reise vorbereitet, und mir hat diese Anspannung wohlgetan. Nicht ein einziges Mal verfiel ich in meine Zustände. Ich beschloß bei mir, diesmal mehr zu riskieren. Denn wenn es stimmte, daß Bergstadt wieder weiterentwickelt würde, mußte in den Jahren auch ein gewisses Auseinanderleben eingetreten sein, es konnte unmöglich mehr jeder jeden kennen, das war sogar während des engeren Zusammenlebens in Ziel nicht der Fall. Freilich, man kannte viele, etliche aber nur vom Sehen, sie kamen einem bekannt vor. Und war ich objektiv – ich bemühte mich, es zu sein –, mußte ich mir eingestehen, mich hätte nach den Jahren wohl meine eigene Mutter nicht wiedererkannt. Einmal verglich ich sogar ein Foto von mir mit meinem Spiegelbild. Wäre man von zartem Gemüt, könnte man erschrecken… Und schließlich ist da noch Pitt. Wer würde Verdacht schöpfen auf Neuerde, träfe er einen ihm unbekannten zehnjährigen Jungen… Aber über derartige Spekulationen sprach ich mit Pitt nicht, ich wollte nach der Situation entscheiden, es darauf ankommen lassen. Ich gestehe mir jedoch ein, daß mich diesmal mehr Furcht, eine Art Lampenfieber heimsuchten und eine Spannung befiel, wie ich sie von den vorigen Unternehmungen nicht kannte. Aber das war es wohl, was
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