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Der Untergang der Telestadt

Der Untergang der Telestadt

Titel: Der Untergang der Telestadt
Autoren: Alexander Kröger
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restag ein besonderer; denn danach werden die Kinder seit eh und je auf der Erde eingeschult.
    Ich habe die Maßstäbe verloren, wäre nicht in der Lage einzuschätzen, ob Pitt diese Reife hat. Schließlich finde ich mich nach und nach damit ab, daß er sich seine Umgebung recht pragmatisch – wenn man über die Fähigkeiten eines so jungen Kindes überhaupt so sprechen kann – angeeignet hatte. Er geht mir zur Hand, hat Beziehungen zu all den Dingen um uns herum, und er ist auf alle Fälle das, was man allenthalben unter einem lieben Kind versteht. Er bastelt viel und geschickt, er zeichnet, ich glaube mit einem schöpferischen Einschlag – auch da fehlen mir die Vergleiche.
    Aber sobald es ein wenig theoretisch wird, sobald der Stoff, den ich ihm vermittle, ein gewisses Abstrahieren verlangt, bleiben viele Wünsche offen. Ob ich die Ansprüche zu hoch stelle, mir die Fortschritte nicht schnell genug gehen, ich weiß es nicht. Mich in der Literatur zu vergewissern, habe ich lange aufgegeben, das Nachgelesene verwirrte mich bloß…
    Ich habe auch seit einem Jahr Erörterungen über die Erde weggelassen, eigentlich ab dem Zeitpunkt, als Pitt anfing, seine Umgebung mit dem Gelernten zu vergleichen. Ich hatte unbedingt den Eindruck, er begann nach den Bildern in den Büchern und Filmen die Gegenstände zu suchen. Solange das im Schiff geschah, ließen sich noch Parallelen herstellen. Im Freien wurde es problematisch, und er hatte einen starken Drang ins Freie. Das ewige Fragen »Wo ist das und das?« oder »Warum gibt es dieses hier nicht?« ging mir allmählich auf die Nerven, weil er nicht begriff; daß eine andere Welt neben der unseren existiert, weil es ihm an Vorstellungskraft mangelt, glaube ich. Der Trost, den ich mir selber zusprach, im höheren Alter haben allemal die Menschen noch manches begriffen, half mir kaum über den Augenblick hinaus.

    Ich bin mir fast sicher, daß ich Pitt überfordere. Lange habe ich über mich und unsere Situation nachgedacht. Natürlich mit dürftigem Ergebnis, aber das gehört nicht hierher.
    Meine Ungeduld rührt wohl daher, daß ich spüre, wie meine Kräfte schwinden. Nicht die physischen. Ich fühle mich körperlich gesund, so gar in gewisser Weise trainiert, da alle Verrichtungen, auch schwere, mir obliegen. Ich verspüre kaum mehr die Schwüle, die drückende Atmosphäre, gerate nicht außer Atem wie früher bei der geringsten Anstrengung, selbst der Schweiß rinnt nicht mehr in Strömen. Ich kann zupakken, entwickle Ausdauer…
    Aber ich habe mehrmals festgestellt, zuzeiten, da Pitt sich mit sich selbst beschäftigte oder schlief, daß ich in irgendwelche Grübeleien versinke, über deren Inhalt ich im nachhinein nichts mehr zu sagen gewußt hätte. Mehr noch, ich weiß überhaupt nicht, was in dieser Zeit geschehen sein mochte. Das ist nicht wie Schlaf, denn danach fühle ich mich elend, wie zerschlagen, das ist wie ein Fallen in eine grenzenlose Müdigkeit, durchwoben von unbestimmbaren Ängsten und Bedrückungen… Danach benötige ich Tage, um meine gewohnte Haltung zu meiner Umgebung, zu meinem Leben, ja selbst zu Pitt wiederzufinden. Depressionen. Früher konnte ich mir darunter nichts vorstellen, glaubte, es sei eine Art Willensschwäche, die, kämpfte man nur energisch dagegen an, auch zu unterdrücken sei. Langsam merke ich, daß ich Menschen meiner Umgebung, die an einer solchen Krankheit litten, sicher Unrecht getan habe, indem ich sie nicht ernst nahm in ihrer Not… Noch war Pitt zu jung, noch brauchte er meine Fürsorge…
    Aber natürlich flößte mir diese Situation große Furcht ein. Und es beginnt ein Teufelskreis: Je mehr ich mich ängstige, je mehr ich darüber nachdenke, nachgrübele, was wohl aus mir, aus Pitt werden könnte, desto öfter verfalle ich in diesen Dämmerzustand. Ich brauche etwas, muß etwas herbeiführen, das mich herausreißt, das mich beschäftigt, das mehr Aufgabe ist als die Sorge um das Kind.

    Heute, neun Tage nach dem vordem Geschriebenen, habe ich meinen »Herausreißer«.
    Plötzlich tauchte eine Kolonne von Fahrzeugen auf, um ein Haar wären wir im Freien unmittelbar vor der Telesalt überrascht worden. Von meinem Ausguck aus konnte ich sie nicht alle zählen, aber schätzungsweise waren es sechs oder sieben Fahrzeuge, ein ansehnlicher Fuhrpark, denn ich konnte mir gut vorstellen, daß die Treibstoffsituation seit meinem Weggang nicht besser geworden war und daß die Instandhaltung der Fahrzeuge sicher auch ihre Tücken
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