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Der Untergang der Telestadt

Der Untergang der Telestadt

Titel: Der Untergang der Telestadt
Autoren: Alexander Kröger
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Fragen auf mich ein: Wie viele von uns siedeln wohl zusätzlich in Bergstadt, welchen Auftrag haben sie, warum ist das gemacht worden, wäre ein Fortbestand der Konzentration nicht besser? Und ein Wunsch stellte sich in mir ein: Bergstadt aufzusuchen. Pitt!
    Ich kehrte zum Depot zurück, um nach dem Sohn zu sehen. Er schlief.
    Beim zweiten Trip wollte ich schnell zum Fluß vorstoßen und mich
dort über den Stand der Arbeiten informieren, die seinerzeit so rege be
gonnen hatten.
Auf der verwachsenen Straße kaum Begängnis…
    Abgehetzt, naß von Schweiß, erreichte ich den Fluß, der sich braun und träge dahinwälzte. Ein breiter Steg stieß ins erste Drittel der Breite vor, und eine stattliche Anzahl von auch größeren Booten lag dort vertäut, dazwischen Lücken, die darauf hindeuteten, daß man sich auf Fahrt befand. Ein Boot mit vier Insassen landete beachtlich große Fische an; am Ufer stand ein reparaturbedürftiger Flachbau, dem über ein Band die Beute zugeführt wurde. Als ich mich notgedrungen zum Rückzug entschloß, wurde flußab ein weiteres Boot sichtbar, das, tief im Wasser liegend, von sechs Leuten – vier Männern und zwei Frauen – gegen die Strömung herangerudert wurde.
    Warum, um alles in der Welt, gerudert? Steht es um die Treibstoffe so schlecht, oder wurde Bewegung als gesundheitsfördernd verordnet? Fische – ich nenne die Wassertiere der Einfachheit halber so – scheint es genug zu geben, und ihre Verarbeitung hatte man offensichtlich im Griff.
    Pitt empfing mich munter und freundlich. Wir aßen eine Kleinigkeit, und nach etlichen Ermahnungen entschloß ich mich zu einem dritten Aufbruch, natürlich in der Hoffnung, daß sich in solch unmittelbarer Nähe der Siedlung keine gefahrbringenden Tiere aufhielten. In der Tat, ich hatte weder Echsen noch die sonst zahlreichen harmlosen Nager gesehen.
    Die dritte Visite vermittelte mir eine niederschmetternde Neuigkeit.
    Da ich natürlich nur kurze Zeit ausbleiben wollte, ging ich quer zur Hauptstraße zwischen vier Gehöften hindurch. Bei einem der Wohnhäuser kam ich an ein Fenster heran, und ich wagte den Blick nach innen. Menschen sah ich dort nicht; ich gewahrte die bekannte, spartanische Einrichtung, aufgebessert durch handgewerkelte Kleinmöbel. Und ein Bild erblickte ich. Es zeigte Gus lächelnd in einem Arbeitsanzug. Um die untere rechte Ecke schlang sich ein schwarzes Band, ein Trauerflor… Jetzt, da ich diese jüngsten Erlebnisse niederschreibe, wird mir bewußt, daß es weniger der Schmerz um Gus ist, der mich bis zur Verzweiflung niederdrückt. Wir hatten uns auseinandergelebt, nur noch wenige Gemeinsamkeiten verbanden uns. Schließlich war mein Weggang aus Seestadt nicht zuletzt dem geschuldet. Freilich, wenn solche irreversiblen Ereignisse eintreten, erscheint schon das eine oder andere in einem neuen Licht…
    Nein, was mich so zerschmetternd getroffen hat, ist die Erkenntnis, daß es nun in Seestadt keinen einzigen Menschen mehr gibt, in dessen Erinnern ich eine Rolle spiele. Erst ab jetzt bin ich endgültig allein, abgeschrieben…
    Ich habe nur noch Pitt – Pitt und meine Arbeit, an die ich nicht mehr so sehr glaube.

    Zehn Tage kränkelte der Junge noch nach dieser Ausflugstortur, und ich schwor mir, so schnell beginne ich solch eine Exkursion nicht wieder. Zu tun habe ich genug. Ich versuche, dem Kind zuliebe die Mahlzeiten abwechslungsreicher zu gestalten, begebe mich aus diesem Grund öfters auf die Felder, wo ich aus dem verwilderten Gelände das Gemüse und das Obst zu bergen suche, das sich erhalten hat. Einige Kulturpflanzen beginne ich an versteckt gelegenen Standorten und Ecken zu rekultivieren. Dabei achte ich jetzt strenger darauf, daß ich Zonen erhöhter Strahlungsintensität, die leider nach wie vor vorhanden sind, meide. Ich habe eine Aufgabe – Pitt –, die über allem, auch über dieser Chronik steht. Zu dieser Aufgabe gehört zuvorderst, Pitt zu erziehen, ihn zu unterrichten. Aber entweder bin ich kein guter Pädagoge, oder man verhält sich zum eigenen Kind anders – oder Pitt ist nicht sonderlich begabt: Er macht nur geringe Fortschritte, und das in kleinen Schritten. Gleichgültig, woran es liegt, ich werde mich damit abfinden müssen. Verständlich aber, daß so die Tage verfliegen…

    Heute beging ich mit Pitt dessen sechsten Jahrestag. Sein Geburtsdatum kenne ich ja nicht. Ich gedenke des Tages, an dem ich ihn bei seiner sterbenskranken Mutter fand… Für mich ist gerade dieser sechste Jah
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