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Der Untergang der Telestadt

Der Untergang der Telestadt

Titel: Der Untergang der Telestadt
Autoren: Alexander Kröger
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wahren.

    Als wir uns an diesem vorletzten Abend versammelten, schien es mir, als sei die Runde erwartungsvoller, als seien die Gefährten gespannter als sonst, so als wollten sie in den langen Schlaf der Anabiose das letzte Wissen über jene auf Neuerde mitnehmen.
    Und selbst Bruno fragte mich, ob mir die Zeit ausreiche, das Bild abzurunden, das jene Chronisten in der TELESALT gezeichnet hatten. Allerdings machte er mir keine Hoffnung, eventuell noch einen Abend zuzugeben. Er bat statt dessen noch einmal um Verständnis, daß sich die Crew nun endgültig in die Anabiose versetzen müsse. Wir dürften die Hyperbeschleunigung… Nun ja, das wußten wir alle, und daß die Zeit danach am komplikationslosesten im Tiefschlaf überbrückt wurde, war uns auch bekannt. »Es ist der äußerste Zeitpunkt!«
    »Stimmt!« bekräftigte Carlos, und er lächelte über den Rechtfertigungsversuch des Kommandanten.
    »Schon gut, Bruno«, sagte Inge, und sie legte ihm, der neben ihr saß, eine Hand auf den Arm.
    Mir fiel es zunächst nicht leicht – bislang selber Zuhörer in dieser Runde –, Akteur zu sein. Anfangs verhaspelte ich mich auch einigemal, mußte mich korrigieren, weil ich die Chronologie verletzt hatte, und mir schien, meine Erzählweise war etwas stockend.
    Ich begann also: »Fanny McCullan hat zwischen diesem zweiten Besuch mit Pitt in Seestadt und einem darauffolgenden einen größeren Zeitraum verstreichen lassen – wahrscheinlich auch deshalb, weil sie spürte, daß der Junge mit seinen Fragen nicht fertig wurde.
    Sie versuchte, das Leben in Zweisamkeit so angenehm und vielseitig wie möglich zu gestalten. Sie band den Halbwüchsigen an die Natur, was ihr bei der Veranlagung des Jungen gut gelang. Gleichzeitig aber führte sie einen verzweifelten Kampf gegen ihr Gewissen. Sie wähnte sich schuldig, weil sie meinte, daß sie Pitt die Gesellschaft, auf die er ein Recht hätte, vorenthielt. Dennoch fühlte sie sich verpflichtet, ihn vor ebendieser Gesellschaft zu schützen, die sie mittlerweile endgültig dem Untergang verfallen sah.
    Fanny kämpfte doppelt. Je mehr sie über Pitt in Zwiespalt geriet, desto öfter verfiel sie abermals in ihre depressiven Zustände. Die Sorge um den Lebensunterhalt, dazu notwendige Feldarbeiten brachten sie in die Realität zurück, hielten sie aufrecht.
    Mit zunehmendem Alter des Sohns vertauschten sich die Rollen. Immer mehr übernahm der Jüngling Pitt die Funktion des Versorgers. Es begann für die beiden in der TELESALT das Zeitalter der Tierhaltung, sicher angeregt von dem, was sie diesbezüglich bei ihrem letzten Besuch in Seestadt gesehen hatten.
    Schon früh hatte Fanny begonnen, zur Aufheiterung, zur Freude des Jungen – aber auch wegen der Erziehung zur Pflicht und als Ersatz für Spielgefährten –, Tiere zu zähmen, was, da die Fauna des Planeten den Menschen naturgemäß nie als permanenten Feind kennengelernt hatte, sich nicht allzu schwierig anließ. Die Marderähnlichen eigneten sich und auch Flieger. Am gelehrigsten stellten sich die Baumechsen an, deren man jedoch nur schwer habhaft werden konnte.
    Trotz aller Liebhaberei aber begann dann Pitt – zur Genugtuung Fannys –, als er Versorgungsaufgaben übernahm, Tiere ebenfalls zur Nahrungsgewinnung zu züchten. Übrigens ein Rückfall der gesamten TELESALT-Mannschaft. Denn auch damals, das wißt ihr…«, ich lächelte in die Gesichter der Gefährten, »war es auf der Erde bereits verpönt, dieser animalischen, im Grunde inhumanen Nahrungsbeschaffung nachzugehen. Auf Neuerde aber ließ die Ökonomie Synthetisierung hochwertiger Eiweißspender – also unserer Fleischsurrogate – nicht zu.
    Pitt und Fanny erschlossen einen der Laderampe entgegengesetzt liegenden Ausstieg und legten unter dem Rumpf der TELESALT ein getarntes Gehege an, ernährten die Echsen mit Früchten, und alsbald stellten sich Zuchterfolge ein. Daraus, aus der harten Feldarbeit, aus den häufigen Depressionen Fannys, die sie oft tagelang arbeitsunfähig machten, erwuchsen Verpflichtungen, die stets in mühevollen Tätigkeiten mündeten, die aber auf alle Fälle See- und Bergstadt in den Hintergrund rücken ließen.

    Eine riesige Sorge quälte die Frau fast ein halbes Jahr lang: Pitt befiel eine unerklärliche Krankheit, die nicht nur Fanny als Mutter mit Bangen erfüllte, sondern alle Zweifel am Sinnfälligen ihre Verhaltens gegenüber dem Sohn heraufbeschwor.
    Pitt litt an heftigen Krämpfen, die kaum Schmerzen bereiteten, aber bis zu einer
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