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Der Untergang der Telestadt

Der Untergang der Telestadt

Titel: Der Untergang der Telestadt
Autoren: Alexander Kröger
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stundenlangen Bewußtlosigkeit führen konnten und – erklärlich – danach zu einer hochgradigen Erschöpfung.
    Ebenso plötzlich wie diese Geißel den Jungen befiel, verschwand sie. Aber sie ließ einen deutlich veränderten Pitt zurück: Fanny McCullans unverständlicherweise spärliche Andeutungen zu diesem Fakt lassen folgende Mutmaßung zu: Sie sagt, Pitt sei apathisch geworden, einfältig, gleichgültiger gegenüber den Tageserfordernissen. Er vernachlässigte sogar seine Tiere, und er konnte lange Stunden im Nichtstun verbringen. In dieser Zeit entwickelte er auch einen Hang zur Musik, die ihm nicht nur Freizeitbeschäftigung wurde. Er bekam einen cholerischen Anfall, als einer Periode äußerst trüber Tage wegen die Sonnenbatterien nicht genügend aufgeladen waren, um das Wiedergabegerät betreiben zu können. Eine Sorge aber war Fanny durch die Krankheit, wenn auch auf eine schmerzliche Art, genommen: Pitt überging die Pubertät und entwickelte kein Interesse für das andere Geschlecht. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte der Mutter die unausbleibliche natürliche Entwicklung leidvolles Kopfzerbrechen bereitet, sie hatte keine Alternative zu einer grausam erzwungenen Askese gesehen.
    Ich habe diesen Fakt deshalb herausgehoben, weil er offensichtlich im Fortgang der Entwicklung der Menschen auf Neuerde eine wesentliche Rolle spielt, die den Übergang zum Matriarchat womöglich befördert hat. Die Krankheit des Jungen, die zur Zeugungsunfähigkeit führt, ist auf Neuerde bei weitem keine Einzelerscheinung, das geht aus den weiteren Aufzeichnungen hervor. Ob sie noch heute auftritt, ich weiß es nicht. Aber denkt an diese bedauernswerten Holzholer…
    Die beiden unternahmen in großen, aber regelmäßigen Abständen Ausflüge nach Seestadt. Bergstadt hatten sie wohl im ganzen nur zweimal aufgesucht. Danach lebten dort die wahrhaftigen Pioniere, Freiwillige im wesentlichen, die ohne das irdische Hinterland, Maschinen und Material, dort siedelten. Fannys Einschätzungen dazu sind widersprüchlich. Einmal spricht sie von einer Verrohung der Menschen dort, zum anderen von einem gesunden Schlag, der sich im Laufe der Zeit von denen in Seestadt angeblich deutlich unterschied…«
    »Das ist, glaube ich, so widersprüchlich nicht, roh und gesund«, warf
Inge ein.
Bruno runzelte mißbilligend die Stirn.
    Ich zuckte mit den Schultern und fuhr fort: »Bei ihrem dritten Besuch bereits – mit Pitt – glaubte Fanny in Seestadt etwas Neues entdeckt zu haben, einen Trend, eine Bewegung: Von denen, die es ehrlich meinten mit dem Aufbau, den Fleißigen, Disziplinierten, löste sich eine Gruppe, die offenbar Zulauf hatte – na, ich nenne sie Asoziale, wenngleich diese Bezeichnung weit überzieht. Jedenfalls begannen in Seestadt Müßiggang und Renitenz, stimuliert von Alkoholgenuß und Suchtmitteln, eine – wie ich herausgelesen habe – zunehmende Rolle zu spielen. Im Gefolge dieser Entwicklung gab es Gruppenbildungen, Abspaltungen gar… Zum Schrecken von Pitt und Fanny hauste eine Gruppe von solchen Leuten über eine Woche in der TELESALT, Frauen und Männer, die sich dann jedoch in Richtung Ziel absetzten. In dieser Zeit trauten sich die beiden nicht einmal, ihre Tiere zu versorgen…
    Zwei einschneidende Ereignisse fallen in diese Periode, womöglich geschuldet dieser bedrohlichen Entwicklung:
    Das erste war der Versuch, die seit langem geplante Funkbrücke zur Erde doch noch herzustellen.
    Eines Tages rollte es aus Seestadt heran, wohl alles an Fahrzeugen, das noch irgendwie in Bewegung versetzt werden konnte.
    Abermals wurde vor der Rampe der TELESALT eine Lichtung geschlagen und auf dieser eine Art Konglomerat-Kraftwerk errichtet. Es wurden offensichtlich alle noch vorhandenen Akkumulatoren gekoppelt, natürlich, aus einigen Anzeichen ging das hervor, die im Schiff eingeschlossen. Stromaggregate arbeiteten Tag und Nacht, gespeist von letzten Treibstoffreserven, aber auch von einheimischen Energieträgern. Genauere Kenntnis über das Vorhaben erhielt Fanny aus einem nahezu tollkühnen Unternehmen: Noch im Besitz eines Schutzanzuges, ließ sie sich in den Hermetiktrakt mit einschleusen. Natürlich gab es unter den gegebenen Umständen keinerlei Kontrolle… Fanny blieb unerkannt. Sie schöpfte aus diesem Abenteuer die Information, daß die Wahrscheinlichkeit für das Gelingen des Experiments höchstens fünfzig Prozent betrug und daß sich die Techniker selbst sehr skeptisch dazu äußerten. Zeitpunkt und Entschluß
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