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Der Unheimliche Weg

Der Unheimliche Weg

Titel: Der Unheimliche Weg
Autoren: Agatha Christie
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leise, wer der alte Herr sei.
    »Das ist Monsieur Aristides«, flüsterte jener, »ein reicher, ein ungeheuer reicher Mann.«
    Sylvia fasste die hagere, gebeugte Gestalt genauer ins Auge. Was für eine menschliche Ruine! Und seinen ganzen Nimbus verdankte er seinem Reichtum, da er anderes nicht mehr zu bieten hatte. In diesem Augenblick begegnete Sylvia den Augen des alten Mannes. Sie leuchteten blitzartig auf und wandten sich schnell wieder ab. Allmählich wurde die Terrasse leer, da die Gäste sich zum Lunch begaben. Sylvia, die sehr spät gefrühstückt hatte, wollte nicht schon wieder essen. Sie blieb auf der Terrasse und bestellte ein weiteres Getränk. Dabei schlenderte ein gut aussehender junger Mann an ihr vorüber und summte im Weitergehen:
     
    Le long des lauriers roses
    Rêvant de douces choses.
     
    Diese Worte brachten Sylvia wieder ihren Beschützer in Erinnerung. Laurier – das war doch sein Name gewesen? Bestand hier vielleicht ein Zusammenhang? Aber sie konnte sich keinen Reim darauf machen. In diesem Augenblick schien sich die Sonne hinter einer Wolke zu verstecken – sie sah verwundert auf und stellte fest, dass der reiche Monsieur Aristides zwischen ihr und der Sonne stand. Er schien in den Anblick der fernen Hügel versunken. Dann seufzte er, drehte sich plötzlich um, und im Vorübergehen stieß er an ihren Tisch, sodass ihr Glas herunterfiel und zerbrach.
    Schnell wandte er sich um und sagte höflich:
    »Ich bitte tausendmal um Vergebung, Madame!«
    Er winkte gebieterisch einen Kellner herbei, bestellte ein neues Getränk und entfernte sich mit nochmaliger Entschuldigung.
    Als der Kellner mit ihrem Martini kam, fragte sie ihn, ob Monsieur Aristides allein hier sei.
    »Aber nein, Madame«, war die Antwort, »ein so reicher Herr reist niemals ohne Begleitung. Er hat seinen Kammerdiener, seine beiden Sekretäre und seinen Chauffeur bei sich.«
    Später sah Sylvia den Nabob allein an seinem Tisch sitzen. Seine Sekretäre befanden sich in der Nähe und ließen kein Auge von ihrem Gebieter, der sie überhaupt nicht beachtete.
    Am Nachmittag durchstreifte Sylvia die Gärten des Palastes, erfüllt von dem Frieden und der köstlichen Ruhe, die über diesem gesegneten Fleckchen Erde lagen. Ach, dachte sie, könnte ich doch ewig, ewig hier bleiben. Hier würde meine Seele zur Ruhe kommen. Und gerade jetzt darf ich nicht an mich denken. Ich habe eine Mission übernommen, die mir Gefahren, vielleicht sogar den Tod bringt. Aber würde sie hier wirklich auf Dauer glücklich sein können?!
    Es war schon spät am Abend, und die Hitze hatte bedeutend nachgelassen, als Sylvia wieder ins Hotel zurückkehrte. In der großen Diele stieß sie auf Mrs Baker, die sie sofort mit Beschlag belegte.
    »Ich bin gerade mit dem Flugzeug angekommen«, erklärte sie, »ich kann die langweilige Eisenbahn nicht ausstehen. Alles ist so unappetitlich. Auf den Nahrungsmitteln, die man kauft, sitzen die Fliegen. Zellophanpackungen kennt man hier wohl nicht. Nun sagen Sie mir aber, wie es Ihnen hier gefällt. Sicher haben Sie sich schon die Altstadt angesehen?«
    »Leider habe ich noch gar nichts unternommen«, antwortete Sylvia lächelnd, »ich habe lediglich in der Sonne gesessen, unter dem Sonnenschirm natürlich, und bin durch die Gärten gegangen.«
    »Ach ja, ich vergaß, Sie kommen ja gerade erst aus dem Krankenhaus. Wie konnte ich nur so töricht fragen. Sie sollten eigentlich noch im verdunkelten Zimmer liegen und ruhen. Gelegentlich, wenn Sie sich frischer fühlen, können wir aber vielleicht doch einen kleinen Ausflug miteinander machen. Ich werde nie müde und nehme alles mit, was dem Reisenden geboten wird.«
    Sylvia beglückwünschte die energische Dame zu ihrer Tatkraft.
    »Erinnern Sie sich noch an Miss Hetherington in Casablanca? Nicht? Eine englische Dame mit langem Gesicht. Sie kommt auch heute Abend hier an. Aber mit dem Zug. Was für Gäste sind denn in diesem Hotel? Viele Franzosen, nehme ich an. Übrigens – gefällt Ihnen Ihr Zimmer? Meines ist grässlich – man muss mir unbedingt ein anderes geben…«
    Und wie ein Wirbelwind stürmte Mrs Baker davon. Später traf Sylvia wieder mit ihr und der angekündigten Miss Hetherington zusammen. Mrs Baker entwickelte gerade ihren Plan für den morgigen Tag.
    »Wir wollen lieber nicht in die Altstadt«, sagte sie, »dort ist alles so verwinkelt und schmutzig. Ich habe genug vom letzten Mal. Wäre mein Führer nicht gewesen, so hätte ich nicht ins Hotel
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