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Der Unheimliche Weg

Der Unheimliche Weg

Titel: Der Unheimliche Weg
Autoren: Agatha Christie
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interessiert, »ah, unser korrekter Major Boris Glyn.«
    »Kennen Sie ihn? Wer ist er?«
    »Er ist gebürtiger Pole, jetzt in Amerika. In London kam er zu mir ins Büro und behauptete, ein angeheirateter Vetter von Betterton zu sein.«
    »Er behauptete es nur?«
    »Genauer gesagt gab er an, ein Vetter der verstorbenen Mrs Elsa Betterton zu sein. Aber wir können das nicht nachprüfen.«
    »Sie hatte Angst«, bemerkte Sylvia nachdenklich. »Können Sie ihn mir beschreiben? Ich möchte ihn gleich erkennen, falls ich mit ihm zusammentreffen sollte.«
    »Er ist ein Meter achtzig groß, blond, hat helle Augen und eine etwas steife, militärische Art… Unsere Beobachtungen haben nichts erbracht. Nachdem er mein Büro verlassen hatte, ging er direkt zur amerikanischen Botschaft, von der er mir ein Empfehlungsschreiben vorgelegt hatte, das die Botschaft zu nichts verpflichtet. Dann verloren wir seine Spur. Vermutlich hat er die Botschaft als Postbote oder was auch immer verkleidet durch irgendeinen Hinterausgang verlassen. Wahrscheinlich hatte Olivia Betterton Recht, wenn sie Boris Glyn für gefährlich hielt.«

5
     
    I n dem kleinen Salon des Hotels St. Louis in Casablanca saßen zwei Damen, die niemand für etwas anderes als für harmlose Touristinnen gehalten hätte. Die Amerikanerin Mrs Calvin Baker war mit Briefeschreiben beschäftigt. Ihre englische Gefährtin, Miss Hetherington, thronte in einem Empiresessel und war dabei, irgendeine nutzlose Strickerei ihrer Vollendung zuzuführen. Mrs Baker war plump und untersetzt, Miss Hetherington lang und dünn.
    Gerade als letztere eifrig mit dem Zählen der Maschen beschäftigt war, warf eine rothaarige, hochgewachsene Dame einen flüchtigen Blick herein, zog sich aber rasch wieder in den Gang zurück. Die beiden Damen wurden sofort sehr lebendig.
    »Miss Hetherington, haben Sie die rothaarige Dame bemerkt?«, fragte Mrs Baker im Flüsterton. »Man sagt, sie sei die einzige Überlebende des schrecklichen Flugzeugunglücks in der letzten Woche.«
    »Ich war heute Nachmittag dabei, als sie ankam«, sagte Miss Hetherington und stach sich vor Aufregung unter den Nagel, »sie wurde mit der Ambulanz gebracht, direkt vom Krankenhaus, wie mir der Manager sagte.«
    »Ich finde es unvernünftig, das Krankenhaus so bald wieder zu verlassen«, erklärte Mrs Baker, »sie muss doch schwere Verletzungen erlitten haben.«
    »Ihr Gesicht ist verbunden – wahrscheinlich hat sie auch viele Schnittwunden davongetragen.«
    »Arme junge Person. Ich möchte wohl wissen, ob ihr Mann bei ihr war und ob er unter den Geretteten ist.«
    »Das glaube ich nicht«, sagte Miss Hetherington kopfschüttelnd, »in den Zeitungen war nur die Rede von einem einzigen weiblichen Fluggast, der gerettet wurde.«
    »Das stimmt. Man brachte sogar ihren Namen. Eine Miss – Mrs Beverly –, nein, Betterton, so heißt sie.«
    »Betterton?«, wiederholte Miss Hetherington nachdenklich. »Das war doch der Name, den ich so oft in den Zeitungen gelesen habe – die Geschichte von dem verschwundenen Gelehrten.«
     
    An dem Nachmittag, da dieses Gespräch zwischen den beiden Damen stattfand, war Mrs Betterton aus dem Krankenhaus entlassen und im Krankenwagen ins Hotel St. Louis gebracht worden. Es war der fünfte Tag nach dem Unglück. Blass und leidend aussehend, mit bandagiertem Kopf, wurde sie sofort in das für sie reservierte Zimmer gebracht, wo sie müde in einen Sessel sank. Erst nach einer guten Weile stand sie auf und betrachtete sich im Spiegel. Sie hatte sich so in ihre Rolle eingelebt, dass sie tatsächlich eine Schwäche in den Gliedern fühlte, wie es bei Rekonvaleszenten der Fall ist, die längere Zeit im Krankenhaus zugebracht haben. In der Hotelhalle hatte sie bereits gefragt, ob Post für sie angekommen sei. Es war nichts da. So musste sie die ersten Schritte ihres neuen Lebens in ziemlicher Unklarheit unternehmen. Sie konnte nicht wissen, ob Olivia Betterton in Casablanca jemanden hätte anrufen oder besuchen sollen. Olivias Pass, ihr Kreditbrief, ihre Cook-Billetts und die für sie reservierten Zimmer mussten ihr genügen. Dies alles zusammen berechtigte zu zwei Tagen Aufenthalt in Casablanca, sechs Tagen Aufenthalt in Fes und fünf Tagen Aufenthalt in Marrakesch. Das Foto im Pass war das ihrige, die Unterschrift auf dem Kreditbrief hatte sie ebenfalls geleistet. Sie musste nun ihre Rolle so natürlich spielen, wie sie es vermochte, und im Übrigen abwarten. Zum Glück ließen sich etwaige Schnitzer
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