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Der Unheimliche Weg

Der Unheimliche Weg

Titel: Der Unheimliche Weg
Autoren: Agatha Christie
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zurückgefunden. Er brachte mich übrigens in ein Teehaus auf den Hügeln mit schöner Aussicht. Aber der Pfefferminztee, den man dort trinken musste, und die kitschigen Reiseandenken, die einem zum Kauf angeboten werden, haben mir die Freude daran verdorben. Ich bin mehr für eine schöne Wagenfahrt in die Umgebung.«

7
     
    D a am andern Tag Miss Hetherington wirklich von Mrs Baker zu einem Ausflug im Wagen eingeladen wurde, blieb es Sylvia erspart, die Altstadt in Gesellschaft der trockenen Engländerin genießen zu müssen. Sie bestellte sich einen Führer und zog mit ihm los. Durch verschiedene Terrassengärten hindurch kamen sie an ein riesiges Tor, das der Führer mit einem unförmigen Schlüssel öffnete. Sobald man dieses Tor durchschritten hatte, tat sich eine andere Welt auf. Überall ragten die alten Festungswälle empor, vor ihr schlängelten sich geheimnisvolle labyrinthische Gässchen mit unbekanntem Ziel; man kam an muffigen Hinterhöfen vorbei, aus denen fremdartiger Gesang ertönte; man musste keinen Autos, sondern schwer beladenen Maultieren ausweichen; hier spielte sich das Leben der alten maurischen Stadt ab. Durch ihre Gassen wandernd vergaß Sylvia ihren Auftrag, vergaß ihr früheres Leben. Die einzige Störung bildete das unaufhörliche Geschwätz des Führers, der ihr alles Mögliche anpries, was sie kaufen sollte. Als all seine Überredungskünste nichts fruchteten, brachte er sie in das von Mrs Baker erwähnte Teehaus auf dem Hügel.
    In einem großen Raum, dessen Fenster einen Ausblick auf die tiefer liegende Stadt gewährte, setzte sie sich an ein Tischchen. Es gab wirklich keinen Kaffee, sondern nur Pfefferminztee, den sie gottergeben trank. Auch kaufte sie einige von den hier feilgebotenen Reiseandenken. Der Führer versicherte ihr, dass er sie in einer knappen Stunde in ihr Hotel zurückbringen würde.
    »Aber vorher«, er dämpfte diskret seine Stimme, »wird Ihnen das Mädchen hier die Damentoilette zeigen; sie ist sehr schön.«
    Sylvia folgte mit belustigtem Lächeln dem Mädchen, das den Tee serviert hatte. Sie hegte keine großen Erwartungen bezüglich der Ausstattung dieses Etablissements. Aber es war wenigstens ein Waschbecken mit fließendem Wasser vorhanden. Sylvia wusch sich die Hände und trocknete sie trotz des Gästehandtuchs mit ihrem eigenen Taschentuch ab. Doch als sie gehen wollte, ließ sich die Tür nicht mehr öffnen. Vergebens zerrte sie an dem Riegel und rüttelte an der Klinke. Der Riegel gab nicht nach. Die Tür war von außen zugeschlossen worden. Zornig sah Sylvia sich um und entdeckte auf der gegenüberliegenden Seite eine zweite Tür, deren Klinke dem Druck ihrer Hand willig nachgab. Sie ging durch und befand sich plötzlich in einem kleinen Raum, der sein Licht nur durch ein paar Öffnungen hoch oben in der Mauer empfing. Und auf dem einzigen Diwan saß rauchend der kleine Franzose, den sie im Zug getroffen hatte, Monsieur Henri Laurier!
     
    Er stand nicht auf, um sie zu begrüßen, und sein Ton war gegenüber früher merklich verändert, als er sagte:
    »Guten Tag, Mrs Betterton!«
    Sylvia stand regungslos da. Die Verblüffung hatte ihr die Sprache verschlagen. Das also war ihr Auftraggeber. Mühsam nahm sie sich zusammen. Damit musstest du schließlich rechnen, sagte sie sich, handle, wie sie gehandelt haben würde.
    Sie trat einen Schritt vor und fragte eifrig:
    »Sie haben also Nachrichten für mich? Sie können mir helfen?«
    Er nickte und erwiderte vorwurfsvoll: »Im Zug, Madame, zeigten Sie sich ziemlich begriffsstutzig. Sind Sie so sehr gewohnt, übers Wetter zu sprechen?«
    »Übers Wetter?«
    Sie starrte ihn verwirrt an. Was hatte er denn im Zug über das Wetter gesagt? Kalt? Neblig? Schnee? Schnee! Das war das Wort, das Olivia im Sterben gemurmelt hatte – Schnee, schöner Schnee –, und Sylvia wiederholte stockend diese beiden Worte.
    »Richtig – aber warum antworteten Sie nicht sofort darauf, wie befohlen?«
    »Ich bin sehr krank gewesen, Monsieur Laurier. Mein Flugzeug stürzte ab, und ich lag mit einer schweren Gehirnerschütterung im Krankenhaus. Mein Gedächtnis hat seitdem gelitten. Jetzt geht es wieder so ziemlich, aber da sind immer noch große Lücken – leere Stellen – «, sie legte die Hand an die Stirn und fuhr mit zitternder Stimme fort: »Sie können nicht begreifen, wie schrecklich das ist – ich fühle, wichtige Dinge vergessen zu haben –, und je mehr ich darüber nachgrüble, desto tiefer weichen sie ins Dunkel
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