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Der Traum des Schattens

Der Traum des Schattens

Titel: Der Traum des Schattens
Autoren: Lena Klassen
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wirkte sein Haar noch goldener. Es war länger geworden, was ihm gut stand. Hanna fand, dass er besser aussah als je zuvor, was einerseits ein Kunststück war– attraktiv war er schon immer gewesen–, andererseits aber auch daran liegen konnte, dass er nun ein Mensch war. Dass er schwitzte und atmete, dass sein Herz schlug, dass er lachte und lebte.
    Mattim. So viel war er gewesen: Prinz des Lichts, Vampir, Wolf. Und jetzt endlich war er ihr gleich, war er ein Mensch wie sie. Sie liebte es… und sie hasste es.
    Vor allem hasste sie es, sich Tag und Nacht Sorgen um ihn zu machen, weil er sterben könnte. Als Schatten war er zwar verletzlich gewesen– jede Schramme, jeder Schnitt blieb in seiner Haut, die sich nicht mehr erneuerte, bestehen–, doch umbringen können hätte ihn fast nichts. Nur das Licht und der Fluss. Vor Ersterem hatte ihn ihr Blut bewahrt, sogar– wenn auch nur für eine Weile– vor dem Wasser. Doch nun gab es nichts mehr, was ihn zu schützen vermochte.
    Er war ein Mensch.
    Dabei waren seine Feinde mächtiger denn je. Sie hatten auf der ganzen Linie gesiegt, bis auf die Tatsache, dass sie ihn noch nicht getötet hatten. Aber es war knapp gewesen, verdammt knapp. Das war der Teil, an den sie sich nicht gewöhnen konnte– die ständige Bedrohung im Hinterkopf. Wie lange konnte man sich verstecken? Oder besser, wie lange konnte sich jemand wie Mattim verstecken? Er würde nie vor seinem Schicksal fliehen.
    Davon abgesehen war sein Menschsein eine herrliche Überraschung. Eigentlich hatte sie nicht erwartet, dass es einen Unterschied machen würde, denn er war nicht wie die anderen Schatten. Kein Vergleich zu seinem Bruder Kunun oder zu Atschorek, seiner blutdürstigen Schwester. Mittlerweile, in diesem wunderbaren halben Jahr, das hinter ihnen lag, hatte Hanna erfahren, dass es sehr wohl einen Unterschied machte. Mattim als Mensch war… anders.
    Obwohl er so viele Sorgen hatte, obwohl sie wusste, dass er seine Heimatstadt nicht aufgeben konnte und die Niederlage ihn immer noch schmerzte, ließ er sich von den Problemen nicht unterkriegen. Sie konnte keinen Augenblick vergessen, dass Kunun hinter ihnen her war, dass sie in Lebensgefahr waren, solange ihr Feind lebte, er dagegen warf einfach alles ab, er schleuderte die Schatten von sich und hielt das Gesicht in die Sonne. Mattims Fähigkeit, im Hier und Jetzt zu leben, hatte sie schon früher bewundert, als er noch ein Schatten gewesen war. Mittlerweile beneidete sie ihn darum– und manchmal trieb es sie zur Weißglut.
    Er sprach mit einem der Pferde, streichelte ihm über die Nüstern. Dass er so ganz und gar darin aufgehen konnte…
    Bis hierhin hielt sie es noch aus. Doch gleich, wenn er wieder anfing, den Fünfer zu üben, würde es mit ihrer Ruhe vorbei sein. Sie packte die Kamera fester.
    Die fünf Lipizzaner liefen wie ein aufeinander abgestimmtes Uhrwerk, immer schneller. Laszlo öffnete das Tor, und da galoppierten sie hin, hinaus aufs freie Feld, und Mattim auf ihnen wurde immer kleiner. Schon waren sie hinter ein paar Bäumen verschwunden.
    Hanna richtete das Objektiv auf die Stelle, an der sie wieder erscheinen würden, bereit, das Foto ihres Lebens zu machen. Gleich, die fünf Pferde, da kamen sie in vollem Galopp angeprescht… Wo war der Reiter? Kein Mattim?
    Sie stöhnte innerlich, als sie die Kamera zur Seite legte, als hätte sie ihn damit übersehen können und jetzt würde er wie ein Wunder wieder vor ihren Augen erscheinen.
    Dávid lachte heiter, während er die Pferde einfing.
    Doch da war sie schon losgerannt.
    Sie hetzte über den staubigen Platz, die zertrampelte Wiese, weiter hinaus ins Freie, vorbei an dem Wäldchen, das ihr die Sicht versperrt hatte.
    Das Gras war nicht sehr hoch, wuchs jedoch unregelmäßig, von kleinen Sträuchern unterbrochen. Wenn er gestürzt war und sich schwer verletzt hatte… oder noch schlimmer…
    Da war etwas, eine Gestalt… Panisch schrie sie auf, rannte über das Gras zu ihm hin. Reglos lag er da. Bleich, die Augen geschlossen.
    » Mattim!«, schrie sie.
    Plötzlich streckte er die Hand aus und zog sie mit einem Ruck zu sich hinunter. » Beim Licht, Hanna, du denkst auch immer gleich, ich wäre tot.«
    » Das… das war kindisch!«
    Er hörte nicht auf zu lachen. Dabei zog er sie an sich heran. Mit den Händen strich er ihr das Haar aus dem Gesicht.
    » Ich bin nicht Attila, auf den du aufpassen musst. Glaub mir, das kann ich ganz gut alleine.« Seine Finger auf ihren Wangen glühten
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