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Der Traum des Schattens

Der Traum des Schattens

Titel: Der Traum des Schattens
Autoren: Lena Klassen
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wartet doch!«
    » Sie kommt uns nach«, stellte Mattim fest.
    » Die Räder!«
    Sie griffen nach den Fahrrädern, die sie an den Brunnen gelehnt hatten, und fuhren los. Mattims Rad schwankte, als Adrienn nach dem Sattel griff und an seinem T-Shirt zerrte. Da er weiterfuhr, musste sie loslassen und stürzte schwer gegen den gemauerten Brunnen.
    Hanna blickte über die Schulter zurück. Die Alte rappelte sich gerade auf, Blut lief ihr über die Stirn.
    » Fahr!«, brüllte Mattim.
    Während sie in die Pedale trat, überschlug Hanna rasch ihre Möglichkeiten. Frau Bartók hatte kein Auto, sie konnte sie nur zu Fuß verfolgen. Die Verwandlung verlieh ihr keine übermenschliche Stärke, trotzdem waren ihre über achtzig Jahre kein Grund, sie zu unterschätzen. Sie würde nicht müde werden, also mussten sie die Verfolgerin abhängen, solange sie selbst noch bei Kräften waren. Da es rasch dunkel wurde, war die holprige Straße kaum noch zu erkennen.
    Mattim hatte aufgeholt und fuhr dicht hinter Hanna. Die klapprigen Räder verfügten über keine Beleuchtung, und sie wagte es nicht, sich umzudrehen, weil es auch so schon kaum möglich war, das Rad in der Spur zu halten.
    » Ist Adrienn noch da?«, fragte sie.
    » Ich… ich glaube nicht.«
    » Gleich sind wir an der Kreuzung. Ich brauche eine Pause.«
    Sie konnte kaum noch die Beine bewegen, aber anzuhalten war ein Fehler; Hanna fragte sich, ob sie überhaupt in der Lage war weiterzufahren.
    Mattim blieb neben ihr stehen.
    Sie lauschten. Schritte auf dem Sandweg hätten sie hören müssen, oder? Ein leichter Wind raschelte in den Gräsern. Über ihnen glänzten die Sterne.
    » Was ist bloß mit Adrienn passiert?«
    » Sie müssen sie heute Nachmittag verwandelt haben, während wir draußen waren. Heute Mittag war sie noch ganz normal«, keuchte Mattim, genauso außer Atem wie sie.
    » Aber… sie war so anders. Durch die Verwandlung ändert sich doch nicht der Charakter. Warum hat sie uns nicht gewarnt?«
    » Ich weiß es nicht«, meinte er düster. » Komm, lass uns weiterfahren, bevor sie uns einholt.«
    » Zur Reiterfarm?«, fragte sie. » Dávid könnte uns mit dem Auto wegbringen.«
    » Nein, auf keinen Fall. Ich will niemanden von meinen Freunden da reinziehen.«
    Sie schlugen den entgegengesetzten Weg ein, fort von den Menschen, die ihnen vielleicht hätten helfen können.
    » Wie haben sie uns gefunden?«, fragte Hanna.
    » Die Schatten beobachten uns schon länger.«
    » Seit wann? Warum hast du es mir nicht erzählt?«
    » Ich war mir nicht sicher. Ich dachte…« Er sagte ihr nicht, was er sich gedacht hatte. Dies war nicht der richtige Zeitpunkt zum Reden.
    Sie fuhren nicht mehr ganz so schnell. Die Gefahr war zwar noch lange nicht vorüber, aber sie konnten einfach nicht mehr. Hanna merkte, wie sie immer müder wurde. Der Tag war lang gewesen, lang und heiß und anstrengend, und es hatte nicht zu ihrem Plan gehört, die ganze Nacht durchzufahren. Die Straße war recht gut zu erkennen, jetzt, da der Mond aufging, und schweigend radelten sie nebeneinander her. Irgendwann kamen sie an die nächste Kreuzung.
    » Wohin?«
    Es spielte keine Rolle. Sie kannten sich hier sowieso nicht aus, abgeschnitten vom Rest der Welt. Frau Bartók besaß einen kleinen Fernseher, jedoch kein Internet. Hanna hatte ein halbes Jahr ohne Handy gelebt, denn der Kommissar hatte befürchtet, dass die Vampire einen Weg finden könnten, sie zu orten. Kunun wusste sich der Mittel und Techniken, die diese Welt bot, durchaus zu bedienen. Jetzt wünschte Hanna sich verzweifelt ein Telefon– aber wen hätte sie schon anrufen können?
    » Wenn du noch langsamer fährst, fällst du um«, sagte Mattim.
    Sie ließen die Räder am Straßenrand liegen und gingen zu Fuß weiter. Der Boden war uneben, voller kleiner Senken und Löcher. Vielleicht war es möglich, sich hinter ein Gebüsch zu ducken und zu warten, bis ihre Verfolgerin aufgab. Außerdem war ein Stück weiter vorne das Gras einladend hoch. Nein, kein Gras. Ein Getreidefeld.
    » Das ist ein Weizenfeld«, sagte sie. » Können wir uns nicht einfach darin verstecken?«
    » Dann würden wir die Angreifer nicht kommen sehen«, wandte Mattim ein. » Ich mache hier jedenfalls kein Auge zu.«
    Wie vom Himmel gefallene Monde leuchteten vor ihnen zwei runde Scheinwerfer in der Dunkelheit, und mit ihnen glomm Hoffnung in Hanna auf. Sie war noch nie per Anhalter gefahren, aber in dieser Nacht, in der der Himmel so weit entfernt schien wie nie, eine
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