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Der Traum des Schattens

Der Traum des Schattens

Titel: Der Traum des Schattens
Autoren: Lena Klassen
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vor Hitze. Vielleicht brannten sie auch nur auf ihrer Haut. Seine Berührungen setzten sie in Flammen, und er wusste es. Sonst hätte er nicht so triumphierend gegrinst. » Entspann dich«, flüsterte er. » Hier kommt sowieso niemand vorbei.«
    » Aber…«
    » Deshalb sind wir hier, schon vergessen? Wir leben im Nichts. Die Menschen auf der Farm interessieren sich nicht für uns. Für Dávid und Laszlo bin ich bloß ein verrückter Pferdenarr. Kein Mensch weiß, dass wir an diesem Ort sind, außer Adrienn natürlich und dem Kommissar. Jedoch niemand von den Schatten. Lächle für mich, meine Prinzessin.«
    Wie hatte sie glauben können, er würde es nicht merken? Sie schämte sich für ihre ständige Angst. Dafür, dass sie vor Sorge fast den Verstand verlor, wenn sie ihn im Haus suchte und nicht fand. Oder wenn sie nachts erwachte und vergebens nach ihm tastete. Manchmal entdeckte sie ihn dann am Fenster, wie er nach draußen starrte, in den endlosen Sternhimmel. Wenn sie ihn fragte, was er dachte, antwortete er nicht. Ihn zu bitten, zurück ins Bett zu kommen, nützte in solchen Momenten nichts, denn er nahm sie überhaupt nicht wahr. Auch das machte ihr Sorgen, dass seine Gedanken dorthin wanderten, wohin sie ihm nicht folgen konnte. In seinen Träumen war er weit fort.
    » Lächle«, flüsterte er und küsste ihr Stirnrunzeln weg. Sanft und spielerisch und immer noch lachend, und dann rollte er sich herum, sodass sie unter ihm im Gras lag. Seine Küsse wurden härter und fordernder, und wie durch ein Wunder lösten sich alle ihre Sorgen auf.

2
    AUF DEM LAND, UNGARN
    Der Sommertag verwandelte sich bereits in einen rotglühenden Abend, als sie zurückkamen. Der Himmel explodierte in einem Farbenspiel und tauchte das Reetdach des kleinen, verwitterten Hauses in Feuer. Die langen Holzstangen des altertümlichen Ziehbrunnens wirkten im Gegenlicht wie die Beine einer Heuschrecke, die gerade im Begriff war, sich in der Erde zu verkriechen.
    Adrienn Bartók, die immer früh schlafen ging, war schon fertig für die Nacht. Sie hatte sich abgeschminkt, weshalb sie zehn Jahre älter aussah als tagsüber. Über ihrem dünnen weißen Nachthemd trug sie eine Strickjacke, und obwohl die Sonne draußen einen grandiosen Abgang hinlegte, hatte sie auch das Haus schon vorbereitet und die Vorhänge zugezogen. Das flackernde Licht der schwachen Lampe war ihrem faltigen Greisengesicht gnädig.
    Hanna musste schmunzeln, denn ihre liebe Gastgeberin saß wieder einmal an dem Tischchen, auf dem seit Wochen nur noch Platz für das Spielbrett war. Die Schachfiguren warfen lange schwarze Schatten über die quadratischen Felder.
    » Gut, dass ihr da seid. Jetzt bist du wieder dran, Hanna«, sagte sie und klappte ihre Lesebrille zu, ohne die normale aufzusetzen.
    Hanna war ganz froh darüber, denn ihre Haare und Kleider waren voller Staub und Grashalme, und das musste Adrienn nicht unbedingt sehen.
    » Sie sind heute ja so ernst«, sagte Hanna. » Ist das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen für mich?« Sie schob den Schemel näher an den Tisch heran. » Ah, der Bauer. Ein Opfer, doch zu welchem Zweck?« Nachdenklich wickelte sie sich eine Haarsträhne um den Finger.
    Hanna hatte sich vor kurzem erst mit diesem Spiel angefreundet. Auch Mattim hatte es gelernt, aber mit ihm maß sich Adrienn nicht so gerne, da er zu häufig gewann. Die alte Dame spielte immerhin schon seit sechs oder sieben Jahrzehnten und war eine schlechte Verliererin. Während Hanna bloß auf die Angriffe ihrer Gegnerin reagierte, verfolgte Mattim eine Strategie und dachte an die hundert Züge im Voraus. Vor einer Weile, als er noch das Bett hatte hüten müssen und die Ungeduld ihn fast in den Wahnsinn getrieben hätte, hatte Adrienn eine Schachtel aus dem Schrank geholt und die Figuren ausgepackt.
    » Weiß oder schwarz?«, hatte sie gefragt.
    Obwohl Mattim damals noch keine Ahnung hatte, worum es ging, verzog er das Gesicht zu einem Lächeln. Nein, er brauchte keinen Augenblick, um sich zu entscheiden. » Weiß natürlich.«
    » Gut. Weiß fängt an.«
    Seitdem hatte ihn das Fieber gepackt.
    Wenigstens ein Kampf, der niemanden das Leben kostet, hatte Hanna gedacht. Mittlerweile war sie sich nicht mehr sicher, so sehr steigerten die beiden sich in das Spiel hinein. Die alte Dame regte sich unangemessen auf, wenn Mattim wieder einmal gewann, was ihm immer öfter gelang. Über die Ernsthaftigkeit, mit der Mattim und die alte Frau spielten, konnte Hanna sich nur
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