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Utopolis

Utopolis

Titel: Utopolis
Autoren: Werner Illig
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1
     
    Als ich die Augen aufschlug, begriff ich endlich, daß ich nicht als stiller Mann zwischen Seegras und Meerdisteln umhertrieb, ein Tischlein-Deck-Dich für Krebse und Aale. Über mir war blauer Himmel. Eine frische Brise klatschte mit die nassen Kleiderfetzen an den Leib.
    Ich fror wie ein junger Hund. Sprang auf, um mir Bewegung zu machen.
    Hallo! Zehn Schritt weit lag ein armseliger Lumpenhaufen, um einen Holzbalken gewickelt. Armer Kamerad! Es ist ein verteufelter Scherz des Schicksals, einen Schiffbrüchigen, nachdem er ertrunken, an Land zu werfen.
    Ich trat näher.
    Der Tote schnarchte fürchterlich.
    Ich schüttelte ihn, wie einen Baum, von dem man unreife Pflaumen abschütteln will. Endlich ließ er den hölzernen Notanker fahren, tastete mit vorsichtigen Händen in den trocknen Sand, setzte sich auf, rieb sich die Augen, gähnte, blickte mich ohne Erstaunen an und brummte: »Hast du wat to essen?«
    Da spürte ich, daß ich an Stelle des Magens ein schwarzes leeres Loch hatte.
    Hein sah mit Interesse, wie ich mir die Fäuste in den hohlen Bauch drehte, seufzte und wußte Bescheid. »Los!« kommandierte er. Wir krabbelten uns zusammen hoch und erkletterten die nächste Düne. Etwa fünftausend Schritt vor uns lag an der Bucht eine Stadt von ansehnlicher Größe.
    Hein nickte zufrieden und sagte mit der Sicherheit eines Menschen, der sich auf seine Ortskenntnis verlassen kann: »Stimmt!«
    Wir trotteten mühsam am Strand entlang, in der Hoffnung, noch den oder jenen unserer Kameraden auflesen zu können. Damit war es leider nichts.
    Unvermittelt standen wir plötzlich in einer breiten Straße. Kein Mensch ließ sich blicken. In der Ferne sausten Autos und bogen schwarmweise um die Ecken.
    Wir suchten nach einem Bäcker- oder Fleischerladen und hofften, durch unseren jammernswerten Aufzug eine Mahlzeit zu erbetteln. Die schönen bunten Häuser, jedes einen Straßenblock breit, zeigten uns weder Schaufenster, noch Ladeneingänge, noch Reklamen.
    »Junge, Junge«, Hein kratzte sich hinterm Ohr, »dat is ne stinkfeine Gegend, ne Art Uhlenhorst mit lütten Wolkenkratzern – bloß furn Sonntag –.« Er spuckte kräftig aus und meinte, wenn das ’n orntlicher seebefahrener Ort wäre, müsse sich ein Seemannsheim finden lassen.
    Wir schleppten uns mühsam weiter in der Hoffnung, daß die vornehmen Paläste abbröckeln und in schmale dunkle Proletarierbudiken übergehen würden, wo man versteht, wie es armen Teufeln zumute ist, denen das Salzwasser näher war als Erbsensuppe mit Speck.
    Es blieb aber, wie wir es angetroffen hatten, und unsre Verzweiflung wuchs. Ich schlug vor, Fensterscheiben einzuschmeißen, dann würde man sich schon um uns kümmern. Aber womit? Die Straßen waren mit Gummi gepflastert und reinlich und wir merkten auf Schritt und Tritt, daß wir nicht hineingehörten, denn die blitzblanke Sauberkeit äfft allzu nüchterne Mägen.
    Wie wir so in die Luft guckten, weil von dort die guten Gedanken kommen, sahen wir über der Straßenkreuzung elegant geschwungene Brücken, die die flachen Dächer der Häuser miteinander verbanden. Dort oben, in sechs oder mehr Stock Höhe gingen Menschen spazieren, das war deutlich zu erkennen. Hein mißbilligte diese wunderliche Einrichtung und fand sie verdächtig, trichterte aber doch seine Hände vor dem Mund und schrie »Ahoi!«.
    Bevor eine Antwort herunterkam (wer weiß, hätten sie Hein gehört, da oben), schlug uns ein neuer Schrecken in die Glieder. Es jagte nämlich ein Wagen heran, völlig geräuschlos und so schnell, daß uns keine Zeit blieb, bei seite zu springen. Feierabend, dachte ich und überließ das weitere der Unfallstatistik. Aber kaum zwei Meter vor uns wich das Fahrzeug aus und hielt so rasch und sanft, als wäre es gegen einen Berg von Watte gerannt.
    Drei Männer in weißen Hosen und Sandalen kletter ten heraus. Sie sahen aus, als hätten sie gut gefrühs tückt und wollten nun zum Tennisplatz fahren, um sich Appetit für das Mittagessen zu machen. Sie bewegten sich wie Leute, die der Not den Rücken zukehren, frei und ohne Zwang. Um ihr Auto – wirklich hatte ich noch nirgendwo einen so prächtigen Wagen gesehn – witter te Millionärsgeruch, obwohl es nicht nach Benzin roch.
    Sie schimpften nicht etwa, weil wir ihnen den Weg verlegt hatten, sondern lachten freundlich und schüttelten uns die Hände. Was sie dabei sprachen, verstanden wir nicht, aber es klang angenehm. Ehe wir recht zum Bewußtsein kamen, hatten sie
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