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2596 - Requiem für das Solsystem

2596 - Requiem für das Solsystem

Titel: 2596 - Requiem für das Solsystem
Autoren: Christian Montillon
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1.
    Gucky
     
    In der weiten regenbogenfarbenen Ebene trieben Gedanken und Gesichter wie in einem Fluss.
    Gucky atmete tief ein und sprang hinein. Er ließ sich selbst los, seinen Körper, seinen Verstand - und tauchte unter. Die Fluten überspülten seinen Geist.
    Er spürte Licht und schmeckte Gedanken.
    Gedanken der Altmutanten, die Wegbegleiter gewesen waren in alten Zeiten.
    Gedanken allerdings auch der Funkenleute.
    Sie bildeten gemeinsam den Parablock auf Talanis und sie alle vereinte ein Ziel: Sie unterstützten die Superintelligenz ES; sie versuchten, deren Tod zu verhindern, indem sie parapsychische Kraftströme kanalisierten und zu ihr schickten.
    Der Mausbiber wurde eins mit ihnen allen. Er schob von sich, was hinter ihm lag, vergaß Trauer, Elend und Tod. Er verschwamm mit den vielen in der Psi- Ebene.
    Langsam trieb er in einem See aus Leben. Er integrierte sich in die miteinander verschmolzenen Bewusstseine.
    Ein Tropfen stieg vor ihm auf, trudelte kraftlos in der Luft und stürzte zurück. Die Regenbogenfläche vibrierte wie unter den Schallwellen einer Melodie, die ihre Harmonie suchte und nur mühsam fand. Oder dem Schlagen eines gewaltigen Herzens.
    Gucky vereinte sich auch damit. Sein Atem glich sich an, sein Puls schwang im Gleichklang, und alles wurde ruhig.
    Er empfing Gedanken, doch nicht die eines einzelnen Teilnehmers des Parablocks - diese gab es nicht mehr. Es existierte nur noch der Block, ein erhabenes, höherdimensionales Wunder.
    Auch ihn, Gucky, gab es nicht mehr. Der letzte Ilt, der endgültig ohne seine Frau und seinen Sohn weiterleben musste, gehörte in diesen Augenblicken einer fernen Vergangenheit an.
    Ein angenehmes Gefühl.
    Er existierte im Verbund mit vielen Bewusstseinen und kannte bloß ein einziges Ziel: ES zu stabilisieren. Durchzuhalten, bis das Ende kam, auf die eine oder andere Weise. Denn das Ende war unvermeidlich. Es konnte nicht mehr lange auf sich warten lassen. Der Zustand, so, wie Gucky ihn nun wahrnahm, war unhaltbar.
    Das Leben der Superintelligenz bildete nicht mehr als einen hauchdünnen Faden im mehrdimensionalen Bereich. Er drohte zu zerreißen. ES war ein Nebelschwaden, der beim geringsten Luftzug für immer verwehte. Feuchtigkeit, die am Morgen aufstieg, um in der Sonne zu verdampfen.
    Und so trieb der Parablock in der weiten Ebene. Mehr noch, er war die Ebene, und diese stieß erneut einen Tropfen aus sich heraus, schickte ihn zu dem sterbenden Wesen, das einst so stark gewesen war.
    Doch Stärke hatte sich längst in Schwäche verwandelt.
    Macht in Versagen.
    Herrschaft in Misserfolg.
    Der Tropfen schwebte empor und glänzte bunt wie ein herrlicher Kristall: pure Energie, Psi-Kraft aus dem kollektiven Bewusstsein des Parablocks. Wo er die Ebene verließ, bildete sich ein Strudel.
    Was einst Gucky, der Mausbiber, gewesen war, schwamm dort hinein, griff mit seiner telekinetischen Gabe zu, und ein Wasserfaden schoss in die Höhe, verband sich mit dem Tropfen. Buntes Feuer floss darin, drehte und wirbelte in sich.
    Ein stabiler Schlund entstand, für Sekunden und Ewigkeiten jenseits der Zeit. Energie quoll zu dem sterbenden, frierenden Wesen, das die Gabe träge aufnahm, kaum dazu in der Lage, sie auch nur wahrzunehmen.
    Eiseskälte jagte durch die Verbindung zurück. Sie streifte Gucky, der Atem stockte ihm, doch der Moment ging vorbei.
    Das Eis entlud sich, der Feuerschlund gefror. Es knirschte, und er zerbrach in tausend Fetzen, die wie Hagelkörner niederprasselten. Die Ebene überzog sich mit einem grauen Schleier, der alle Farben fraß, und Frost drang in das gemeinsame Bewusstsein des Parablocks.
    Als das Eis brach, krochen Splitter der Kälte in jeden Einzelnen. Seelen gefroren.
    Irgendwo erklang ein Ächzen.
    Ein Loch entstand, ein zuckendes, blutendes Nichts. Der Mausbiber schaute durch das Loch in die Wirklichkeit, blickte nach Talanis, wo die Teilnehmer des Parablocks unter einem Schutzschirm versammelt standen.
    Einer davon wankte: eine junge Frau.
    Ihre Haare, eben noch rot, wurden grau. Gucky trieb nahe genug, um in ihre Augen zu sehen. Es dampfte aus den Pupillen, doch nicht vor Hitze. Die Iriden gefroren. Ein Äderchen platzte, und winzige Mengen Blut kristallisierten. Es war, als quoll eine einzelne blutige Träne über die Wangen.
    Gucky empfing den Namen dieser Frau nicht, denn sie dachte nicht mehr. Noch ehe ihre körperliche Hülle auf dem Boden aufschlug, war ihr Bewusstsein längst erloschen. Es verpuffte und verwehte, still,
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