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Angela Merkel

Titel: Angela Merkel
Autoren: Dirk Kurbjuweit
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EINFÜHRUNG UND DANK
    Der Airbus A310 der Luftwaffe ist vor einer Stunde in Tegel gestartet und schwebt auf Reiseflughöhe in Richtung St. Petersburg. Das Frühstück ist gegessen, im Heck warten zwanzig Journalisten auf das Signal, dass sie nach vorne kommen können. Die Bundeskanzlerin beginnt ihre Auslandsreisen mit einem Briefing der Journalisten, die sie mitnimmt. Tatsächlich taucht nun Regierungssprecher Ulrich Wilhelm auf und bittet nach vorne in den Loungebereich der Maschine. Alle beeilen sich, sie wissen, dass nur die ersten einen Sitzplatz bekommen werden, kleine Drängelei im Gang. In der Besprechungslounge stehen sich zwei gut gepolsterte Sitzbänke gegenüber. Auf der Bank zum Bug hin wird in der Mitte ein Platz für die Bundeskanzlerin frei gehalten. Dort liegt ein Mikrophon. Die kleine Lounge ist bald überfüllt. Ein paar Journalisten sitzen auf dem Boden, viele stehen.
    Angela Merkel kommt, dunkelblauer Hosenanzug. Wilhelm raunt ihr zu, dass das Mikro nicht funktioniert, sie lächelt säuerlich. Auf einem ihrer ersten Auslandsflüge als Bundeskanzlerin fand sie es anstrengend, ohne Mikrophon zu den zwanzig Journalisten zusprechen, ihre Stimme ist nicht gerade kräftig. Also wurde eine Sprechanlage installiert, die sich bald als unzuverlässig erwies.
    »So, das Mikrophon funktioniert mal wieder nicht«, eröffnet die Bundeskanzlerin. Sie sitzt zwischen Bernd Ulrich von der Zeit und Mainhardt Graf Nayhauß, Kolumnist der Bild -Zeitung und der Bunten . Sie redet eine gute halbe Stunde mit den Journalisten. Es geht um die beiden Themen, die ihre Kanzlerschaft zu einer Krisenkanzlerschaft machen: der Krieg in Georgien, der Zusammenbruch der Finanzmärkte.
    Sobald die Bundeskanzlerin zu Reden begonnen hat, setzt bei Regierungssprecher Wilhelm ein beinahe stetes Kopfnicken ein. Es ist typisch für ihre Zusammenarbeit in der Öffentlichkeit. Sie redet, er nickt. Manchmal schaut sie herüber, holt sich ihr Nicken ab und redet zufrieden weiter. Hin und wieder taucht ein schmerzliches Lächeln im Gesicht des Regierungssprechers auf. Er lehnt an der Tür der Toilettenkabine, die in die Besprechungslounge hineinragt. Es sind einige Minister vorne an Bord, und die nutzen die Abwesenheit der Bundeskanzlerin, um die Toilette aufzusuchen. So rauscht hin und wieder die Spülung in die Rede der Bundeskanzlerin hinein. Wilhelm hört womöglich noch mehr.
    Angela Merkel redet anfangs ungefähr eine Viertelstunde am Stück. Sie reibt sich bald mit den Fingern der rechten Hand die Innenfläche der linken Hand. Das sieht man bei ihr häufig. Sie ist meistens gut in solchen Situationen. Sie redet schnörkellos, präzise, sie ist drin in den Themen, die anstehen. Manchmal würzt sie ihre Rede mit einer dieser boshaft-witzigen Bemerkungen, die typisch für sie sind. Als es um die Erwartungen der Russen geht,dass die Finanzkrise die eigene Rolle in der Welt stärken könne, sagt sie: »Die russische Börse wird die Rolle der Wall Street nicht unmittelbar übernehmen können.« Heiterkeit ringsum. Bei witzigen Bemerkungen der Bundeskanzlerin wird schon aus Höflichkeit gelacht, aber diese war so schlecht wirklich nicht.
    Nach der kleinen Ansprache können die Journalisten Fragen stellen. Es ist warm geworden in der Lounge, die Raumtemperatur nähert sich der Körpertemperatur. Es wird respektvoll gefragt, keine Frechheiten, keine Nickeligkeiten. Die Bundeskanzlerin ist auf schwieriger Auslandsmission, und man hat den Eindruck, dass sich die Journalisten als Teil dieser Mission sehen. Man ist staatstragend, hält zusammen.
    Ein Ruck, der Airbus sackt ab, der Sinkflug hat begonnen, die Maschine taucht in die Wolken. Es wird so lange gefragt, bis die Besatzung unruhig wird. Die Journalisten kehren auf ihre engen Sitze im Heck zurück, Angela Merkel will beim Anflug noch mit Bahnchef Mehdorn reden.
    Die Journalisten müssen nun überlegen, wie sie das Gehörte verwenden. Das Gespräch war als Hintergrund deklariert, es darf nicht zitiert werden. Aber es gibt da eine Grauzone, und Angela Merkel will natürlich schon, dass ihre Einschätzungen in der Öffentlichkeit auftauchen, am liebsten als Teil einer großen Erzählung von der klugen, strategisch denkenden, verantwortungsvoll handelnden Bundeskanzlerin. Die Redakteure der Nachrichtenagenturen beginnen noch im Flugzeug ihre Meldungen zuschreiben. Die Maschine landet, Merkel fährt zu Medwedew. Die deutsche Politikmaschine summt und schnurrt.
     
    Dies ist ein Buch über Angela
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