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Ahoi Polaroid

Ahoi Polaroid

Titel: Ahoi Polaroid
Autoren: Sobo Swobodnik
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    Eigentlich hätte Plotek gar nicht mehr am Tresen sitzen wollen, hier im Froh und Munter , in seiner Lieblingsgaststätte in München, Stadtteil Neuhausen. Eigentlich hätte er nirgends mehr sitzen wollen. Stehen auch nicht, liegen – vergiss es. Plotek war an einem Punkt angekommen, wo es gleichgültig ist, ob man sitzt, liegt oder steht. Wo man selbst der Punkt ist. Ein Mückenschiss, ein Nichts. Weißbier trinkend. Jenseits von Gut und Böse. In den Abgründen seiner selbst verfangen wie eine Spinne, die sich selbst einwebt.
    Aber was hätte er machen sollen? Oder besser: Wo hätte er hinsollen? Da gab es keine Wahl, keine Alternative. Höchstens: Du hast keine Chance – also ersauf sie; und zwar im Unertl Weißbier.
    »Prost«, sagte Susi und stellte ein neues Bier auf den Tresen. Die Schaumkrone lachte schadenfroh, als wollte sie sagen: Selber schuld, Plotek! Womit sie auch ein wenig Recht hatte. Plotek nahm einen Schluck vom Weißbier, saugte dem Schaum das Grinsen weg und sinnierte vor sich hin. Natürlich hätte er auch woanders sitzen können. Egal wo. An einem See, in der Natur, im Englischen Garten, an der Isar, im Schatten auf dem Viktualienmarkt. Oder liegen. In seinem Zustand wäre liegen allemal angebrachter gewesen. Auf der Couch, im Gras, im Krankenhaus. Es würde ihm dadurch aber sicher nicht bessergehen. Das Problem war nicht der Ort, die Lokalität. Auch nicht die Horizontale oder Vertikale. Das Problem war einerseits viel einfacher. Andererseits auch wieder erheblich komplizierter. Das Problem war die Person. Plotek selbst. Plotek wurde zum Problem. Sich selbst und anderen gegenüber. Wie zuletzt Agnes, seiner Freundin. Oder besser: Nicht-mehr-Freundin.
    Früher waren sie ein Herz und eine Seele. Unzertrennlich auf immer und ewig. Bis dass der Tod. . . – ohne verheiratet zu sein. Heute war nichts mehr davon übrig. Eher im Gegenteil. Öl und Wasser. Pest und Cholera. Die anfängliche Liebe von vor über einem Jahr wurde mit der Zeit immer mehr zur Gewohnheit. Jetzt muss man wissen, dass es von der Gewohnheit zur Gleichgültigkeit so weit ist wie vom Tresen bis zum nächsten Zigarettenautomaten. Und wenn man wie Plotek ein starker Raucher ist, dann löst die Gleichgültigkeit dieses Wort, Liebe, bald in seine fünf Buchstaben und schließlich in Rauch auf, ob man will oder nicht. Was bedeutet: Die emotionale Schnittmenge zwischen Plotek und Agnes wurde immer kleiner. Auch die intellektuelle. Die inhaltliche, die formale, alles. Die Gemeinsamkeiten, die anfänglich noch ihre Freundschaft bestimmten. Die unwichtigen, aber liebgewonnenen Banalitäten, die ihr Glück prägten. Das Lachen nach einer schmeichelhaften Anzüglichkeit des einen über den anderen. Das genüssliche Schmatzen nach dem Kuss des anderen. Und, und, und. Alles eben, was Liebende von Nichtliebenden unterscheidet. Alles, was Liebende in den Augen der Nichtliebenden zu Hornochsen macht, reduzierte sich schließlich nur noch auf den Schaum des gemeinsamen Weißbiers im Froh und Munter . Das war schließlich, bei aller Liebe oder Nichtliebe, dann doch zu wenig. Zu wenig für mehr. Mehr als sich anschweigen und trinken. Für eine Beziehung. An diese seit geraumer Zeit im Raum stehende Nichtbeziehung schmiegte sich die Katastrophe wie ein kastrierter Kater an nackte, warme Waden.
    »Das ist doch keine Beziehung, das ist doch, ist doch . . .« Agnes suchte nach Worten und fand welche: ». . . ein Scheißdreck!«, schrie sie in Ploteks Küche, während der gerade in den Kühlschrank guckte und darin, ob er wollte oder nicht, die in ihm seit Tagen schlummernde Leere eins zu eins gespiegelt sah. Da war nichts, im Kühlschrank und in ihm. Nichts von Zuneigung. Hingabe. Zärtlichkeit. Mitgefühl. Nichts von Hungerstiller oder Appetitanreger. Gar nichts. Weniger als ein Scheißdreck, sozusagen.
    »Stimmt«, sagte Plotek mehr in den Kühlschrank hinein als an Agnes gerichtet, so wie man »Ich geh dann mal« sagt.
    »Was?«
    »Nichts« – wieder in den Kühlschrank hinein und noch abwesender, so ähnlich wie: »Bin schon weg.«
    »Nichts, nichts, immer nichts!«, schrie Agnes, so dass Ploteks Abwesenheit sogleich dahin war. Er bekam es auch ein wenig mit der Angst zu tun, weshalb er den Kühlschrank jetzt unauffällig, beinahe lautlos schloss.
    »Das ist es ja«, brüllte Agnes. »Mit dir ist nichts, nichts, gar nichts anzufangen, niemals, nirgends etwas. Du bist nichts. Ein Niemand. Nicht greifbar, nicht fassbar, nicht händelbar, nicht
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