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Der Traum des Kelten

Der Traum des Kelten

Titel: Der Traum des Kelten
Autoren: Vargas Mario LLosa
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entsetzlichsten Grausamkeiten ausgeliefert. Verrat, Folter, der Tod am Kreuz. War das etwa vergebens, Roger?«
    Roger dachte an Pearse, Plunkett und all die jungen Leute, die davon überzeugt waren, dass der Kampf um die Freiheit ebenso mystischer Natur war wie allgemeine Bürgerpflicht.
    »Ich verstehe, was Sie sagen wollen, Pater Crotty. Ich weiß, dass Menschen wie Pearse, Plunkett und sogar Clarke, der als Realist und Pragmatiker gilt, den Aufstand als ein Opfer betrachten. Und dass sie sicher sind, dass ihr Tod ein Symbol sein wird, das die Iren aufrütteln wird. Ich begreife ihren Wunsch, sich zu opfern. Aber haben sie das Recht, andere mit in den Tod zu reißen, die nicht wissen können, was sie wissen, ahnungslose Jugendliche?«
    »Ich hege keine Bewunderung für solchen Fanatismus, Roger, das habe ich Ihnen schon gesagt«, murmelte Pater Crotty. »Ein Christ fügt sich dem Märtyrertum, er sucht es nicht. Aber wurden die Fortschritte in der Menschheitsgeschichte nicht eben durch symbolische Gesten und Opfer erreicht? Was mich in diesem Moment viel mehr interessiert, sind Sie. Sollten Sie gefangen genommen werden, haben Sie gar keine Gelegenheit zu kämpfen. Man wird Sie wegen Landesverrats hinrichten.«
    »Ich habe mich bewusst entschieden, Pater Crotty, und jetzt muss ich konsequent sein. Ich werde Ihnen nie genügend danken können, ich stehe zutiefst in Ihrer Schuld. Darf ich Sie um Ihren Segen bitten?«
    Er kniete sich nieder, und Pater Crotty segnete ihn, bevor sie sich mit einer Umarmung voneinander verabschiedeten.

XV
    Als Pater Carey und Pater MacCarroll die Zelle betraten, hatte Roger bereits Papier, Füllfederhalter und Tinte bekommen und mit fester Hand rasch zwei kurze Briefe verfasst. Einen an seine Cousine Gertrude und einen weiteren, der sich an alle seine Freunde richtete. Beide ähnelten sich im Wortlaut. An Gee schrieb er, nachdem er ihr seine große Zuneigung bekundet und ihr versichert hatte, welche schönen Erinnerungen er an die gemeinsam verbrachte Zeit habe: »Morgen, am Stephanitag, werde ich in den Tod gehen, den ich gesucht habe. Möge Gott mir meine Fehler verzeihen und meine Bitten erhören.« Der Brief an seine Freunde schloss im gleichen feierlichen Tonfall: »Meine letzte Botschaft an alle ist ein Sursum Corda . Ich wünsche denen, die mir das Leben nehmen, wie denen, die es zu retten versuchten, alles Gute. Alle sind jetzt meine Brüder.«
    Der Henker John Ellis suchte ihn auf – dunkel gekleidet und in Begleitung eines nervösen jungen Assistenten, der sich als Robert Baxter vorstellte –, um seine Maße zu nehmen, da er, wie er Roger in aller Seelenruhe erklärte, anhand von Größe, Gewicht und Halsumfang die Höhe des Galgens und Dicke des Seils bestimme. Während er die Messlatte anlegte und die Zahlen in einem Heft notierte, erzählte er Roger, dass er nicht nur Henker sei, sondern auch ein Friseurgeschäft in Rochdale führe, wo ihm die Kunden häufig Geheimnisse über seinen zweiten Beruf zu entlocken versuchten, worüber er jedoch stets schweige wie ein Grab. Roger war froh, als er wieder weg war.
    Wenig später brachte ihm ein Wärter einen letzten Schwung von Briefen und Telegrammen, die die Zensur passiert hatten. Sie stammten größtenteils von Unbekannten, die ihm entwederGlück wünschten oder ihn als Verräter beschimpften. Er sah sie nur flüchtig durch, einzig ein längeres Telegramm erregte seine Aufmerksamkeit. Es war von Julio C. Arana in Manaus aufgegeben worden und in einem so fehlerhaften Spanisch geschrieben, dass selbst Roger es bemerkte. Arana beschwor ihn, »sich redlich zu zeigen und vor einem menschlichen Gericht zu bekennen, welche Schuld, die bislang allein der göttlichen Gerechtigkeit bekannt ist, Sie durch Ihr Verhalten in Putumayo auf sich geladen haben«. Er beschuldigte ihn »Tatsachen erfunden und auf die Barbadier eingewirkt zu haben, so dass sie eingebildete Dinge gestanden, die sich niemals zugetragen haben«, mit dem einzigen Ziel, »an Titel und Reichtümer zu gelangen«. Er schloss mit den Worten: »Ich verzeihe Ihnen, aber Sie müssen um der Gerechtigkeit willen jetzt vollständig und aufrichtig die wahren Tatsachen offenbaren, die niemand besser kennt als Sie.« Roger dachte, dass immerhin nicht Aranas Anwalt, sondern Arana selbst dieses Telegramm geschrieben hatte.
    Er war ganz ruhig. Die Angst, die ihn in den vorangegangenen Tagen und Wochen gelähmt hatte, war fort. Er war jetzt sicher, dass er gefasst in den Tod gehen
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